Saarbrücken, L'Ambassade de France, 1955. Foto: Landesinstitut für Pädagogik und Medien, Saarbrücken

Saarbrücken, L'Ambassade de France, 1955 

Grundriss, 1. Obergeschoss. Foto: Kurt Hoffmann, Alex Pagenstecher (Hg.): Büro- und ­Verwaltungsgebäude. Stuttgart 1956, Seite 131

Grundriss, 1. Obergeschoss 

Rohbau Bauphase 1952-1954. Foto: Landesarchiv, Saarbrücken

Rohbau Bauphase 1952-1954 

Ansicht von Süden. Foto: Landesarchiv, Saarbrücken

Ansicht von Süden 

Ansicht von Süden mit Eingang zum Verwaltungsblock

Ansicht von Süden mit Eingang zum Verwaltungsblock 

Südfassade

Südfassade 

Pilotis. Foto: Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris, Fonds G.-H. Pingusson/Historisches Museum Saar, ­ Bildarchiv

Pilotis 

Ehrenhof und Haupteingang. Foto: Archiv Norbert Mendgen

Ehrenhof und Haupteingang 

Arbeitszimmer des Botschafter, aktueller Zustand. Foto: Landesdenkmalamt Saarbrücken (Kristine Marschall)

Arbeitszimmer des Botschafter, aktueller Zustand 

Arbeitszimmer des Botschafter, aktueller Zustand. Foto: Landesdenkmalamt Saarbrücken (Kristine Marschall)

Arbeitszimmer des Botschafter, aktueller Zustand 

Eingang zum Verwaltungsgebäude, Fenster von Karl Heinz Grünewald, 1962. Foto. Institut für aktuelle Kunst

Eingang zum Verwaltungsgebäude, Fenster von Karl Heinz Grünewald, 1962 

Hall d'honneur, Wandteppich von François Areal, 1954. Foto. Institut für aktuelle Kunst

Hall d'honneur, Wandteppich von François Arnal, 1954 

Foyer des Repräsentationsblocks, Treppenaufgang. Foto: Landesdenkmalamt Saarbrücken (Kristine Marschall)

Foyer des Repräsentationsblocks, Treppenaufgang 

Wandgliederung im Foyer. Foto: Landesdenkmalamt Saarbrücken (Kristine Marschall)

Wandgliederung im Foyer 

Hall d'honneur. Foto: Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris, Fonds G.-H. Pingusson/Historisches Museum Saar, ­ Bildarchiv

Hall d'honneur 

Hall d'honneur. Foto: Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris, Fonds G.-H. Pingusson/Historisches Museum Saar, ­ Bildarchiv

Hall d'honneur 

Hall d'honneur. Foto: Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris, Fonds G.-H. Pingusson/Historisches Museum Saar, ­ Bildarchiv

Hall d'honneur 

Petit salon d'acueil. Foto: Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris, Fonds G.-H. Pingusson/Historisches Museum Saar, ­ Bildarchiv

Petit salon d'acueil 

Petit salon d'acueil. Foto: Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris, Fonds G.-H. Pingusson/Historisches Museum Saar, ­ Bildarchiv

Petit salon d'acueil 

Sitzungssaal. Foto: Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris, Fonds G.-H. Pingusson/Historisches Museum Saar, ­ Bildarchiv

Sitzungssaal 

Wandgestaltung und Raumteiler von Boris Kleint im Casino, 1954. Foto: Landesarchiv, Saarbrücken

Wandgestaltung und Raumteiler von Boris Kleint im Casino, 1954 

Wandgestaltung von Boris Kleint, 1954. Foto: Landesarchiv, Saarbrücken

Wandgestaltung von Boris Kleint, 1954 

Saarbrücken, Bezirk Mitte (Alt-Saarbrücken), L'Ambassade de France

Letzte Änderung: 19/07/2012

Wir schreiben das Jahr 1951. Die politische Struktur des Saargebietes ist ein Provisorium, die Zukunft noch ungewiss, wirtschaftlich ist das Land mit Frankreich verbunden. Mit den Saarkonventionen wurde 1950 die Autonomie anerkannt. Die Saarfrage soll endgültig im Zuge einer Europäisierung des Landes gelöst werden. Vorerst ist das Land assoziiertes Mitglied im Europarat, bemüht sich um die Vollmitgliedschaft sowie die Aufnahme in die Montanunion, deren Hauptstadt Saarbrücken werden könnte. Bis 1955 wird man für einen künftigen Hauptstadtsitz planen und einen internationalen Architektenwettbewerb "Montanhauptstadt Saarbrücken" durchführen. Diese Aufgabe wird hinfällig, als die Saarländer sich 1955 gegen das im Jahr zuvor zwischen Frankreich und der Bundesrepublik ausgehandelte Saarstatut aussprechen. In der Folge wird das Saarland elftes Bundesland.

Eine wichtige Rolle bei allen Entscheidungen spielt der Vertreter Frankreichs, der Hohe Kommissar Gilbert Grandval, dessen "Haut Commissariat" 1951 in die "Mission Diplomatique Française en Sarre" umgewandelt wird. Grandval hatte zuvor schon den Architekten Georges-Henri Pingusson (1894-1978) mit dem Bau einer Botschaft beauftragt. Pingusson zählte zur Elite der französischen Architekten, war ein Freund und Geistesverwandter Le Corbusiers, Gründungsmitglied der Union d`Artiste Moderne (UAM) und des Congrès International d`Architecture Moderne (CIAM) sowie Hochschullehrer an der Pariser École des Beaux Arts (s. Marlen Dittmann: www.kuenstlerlexikon-saar.de/Pingusson). Die städtebauliche Planung für Saarbrücken konnte Pingusson nicht umsetzen und so war er 1949 resigniert nach Paris zurückgekehrt. Gleichwohl sah er im Auftrag, eine Botschaft zu bauen, den Auftakt zur Realisierung seiner Pläne. "La construction de l`Ambassade de France à Sarrebruck constitue une étape dans la réalisation du plan d`urbanisme." ( L'Architecture d'Aujourd'hui, 1953, S. 82)

Gleichzeitig symbolisierte die Botschaft in seinen Augen ein Zeichen des Friedens zwischen den Völkern, vor allem aber repräsentierte sie die "Grande Nation" und deren Kultur. Als Pingusson 1965 den Grand Prix d`Architecture erhielt, äußerte es sich auch zur Botschaft: "Ce que j`ai recherché dans le plan de l`Ambassade, cette pierre française à la Sarre, c`était le sentiment de cet ordre tranquille, de force sans contrainte qu‘ apportait notre présence, par le rhythme des facades, comme par la disposition du plan …" (Zitiert nach: Texier 2006, S. 222)

Nach schwierigen Grundstücksverhandlungen mit 50 Eigentümern hatte das Saarland ein Gelände zwischen Saar und Alt-Saarbrücken erworben, begrenzt von der damaligen Saaruferstraße, der Hohenzollern-, Kepler- und der Roonstraße. An diesem mit Bedacht gewählten Ort sollte die Botschaft den perspektivischen Abschluss eines auf der Hafeninsel geplanten Platzes bilden. Hier errichtete Pingusson von 1951 bis 1954 die "Ambassade de France", die Französische Botschaft, seit 1960 Heimstatt des Kultusministeriums, jetzt des Bildungsministeriums. Sie verkörpert bis heute eine wichtige Etappe der Nachkriegsgeschichte des Landes und steht seit 1985 unter Denkmalschutz. Bisher konnten damit alle den Bau beeinträchtigenden schwerwiegenden Maßnahmen verhindert werden.

Weithin sichtbar am Ufer der Saar erhebt sich seit nunmehr sechs Jahrzehnten das bemerkenswerte Bauensemble. Das Stadtbild prägt vor allem die lange Scheibe des Verwaltungstraktes, im Volksmund "schmales Handtuch" oder "Schokoladenstückchen" genannt. Die weiteren Bauteile treten kaum in Erscheinung und sind daher fast unbekannt. Das dürfte in den 1950er Jahren noch anders gewesen sein, als hier die Staatsgäste empfangen wurden. Damals stand die Botschaft als ein Zeichen des Aufbruchs in einem noch wüsten, kriegszerstörten Gelände. Damals versperrte noch keine Stadtautobahn den direkten Zugang an der Saaruferstrasse. Auch keine Westspange bedrängte, keine Reklame verunstaltete die Stirnseite des Hauses, sie konnte sich mit ihren schmalen Dimensionen und der raffinierten Detaillierung ins Gedächtnis graben. Auf der Südseite breitete sich der parkähnliche, große Garten aus, eine Pergola führte auf den Eingang des Verwaltungstraktes in der Roonstraße zu. Der für eine Botschaft in einem kleinen Land eigentlich überdimensionierte Bau lässt sich nur mit der zunächst nicht ganz unrealistischen Vorstellung erklären, in Saarbrücken Europäische Institutionen ansiedeln zu können.

Beim Bau einer Botschaft sind immer unterschiedliche, auch räumlich zu trennende funktionale Aspekte zu berücksichtigen: den öffentlichen und für die Öffentlichkeit zugängigen Verwaltungsteil, den halböffentlichen Gesellschafts- und Repräsentationsteil und die privaten Wohnräume des Botschafters. Über Jahrhunderte hinweg befanden sie sich unter einem Dach, erst in neueren Residenzen wird zum größeren Schutz der Privatsphäre auf die Wohnung verzichtet, wie es z.B. die Botschaftsbauten in Berlin deutlich machen. Pingusson nun musste alle drei Ansprüche noch zu einem stimmigen Gesamtgefüge vereinen. Pingusson zur Seite gestellt wurden die beiden deutschen Architekten Bernhard Schultheis und Hans Bert Baur, die die örtliche Bauleitung übernahmen.

Nach mehreren Vorentwürfen entstand der Realisierungsplan 1951 mit der charakteristischen funktionalen und formalen Trennung von Residenz im Flachbau und Verwaltungsbau im Hochhaus. In der Baubeschreibung vom 21. Januar 1951 gliedern die Architekten die Botschaft in zwei Blöcke: die eigentliche Botschaft, zu der sie die Repräsentations- und Büroräume des Botschafters und die dazugehörenden Wirtschafts- und Diensträume zählen, wie auch den privaten Bereich, die Wohnung Grandvals. (Projet descriptif de la construction. 46 IFA 30/298, Archives nationales/Institut français d‘architecture, Archives d‘architecture du XXe siècle, Paris) Der zweite Block umfasst die Verwaltung mit 180 Büros, den dazu gehörenden Nebenräumen und Erschließungen.

Das Büro des Botschafters fungiert als Bindeglied zwischen den beiden Blöcken, die damit eine organische Einheit bilden, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. "C`est autour de la personne même de l`Ambassadeur et de son poste de travail que s`ordonne la composition des divers éléments depuis les locaux de caractère public et officiel jusqu`à ceux de caractère privé.” Schon in der Baubeschreibung erläutern die Architekten das "système de travées", das "Jochsystem" der Büroetagen, das 1,20 m breit, je nach Bedarf Räume unterschiedlicher Größe erlaubt. Die Wahl des Baumaterials – Stahlbeton oder Stahl – machten sie abhängig von der billigeren Konstruktion, vorgesehen waren selbstverständlich Zentralheizung und Klimaanlage. Als Resumé heißt es: "Pour l`équipement de l`édifice, il a été fait appel à tous les moyens de la technique moderne, en particulier pour le demeure de l`Ambassadeur qui doit comporter un aménagement digne et correspondant à son but representative”. (Zitiert nach Texier, S. 220)

 

Bevor wir das Botschaftsensemble im Einzelnen betrachten, noch ein kurzer Rückblick. Pingussons berühmtester Bau, das Hôtel Latitude 43 in Saint Tropez (1931) ist ebenfalls aus unterschiedlich hohen Baukörpern zusammen gefügt, darunter auch einer Hochhausscheibe. Der mittige Treppenturm verleiht ihr plastische Prägnanz.

In der Publikation "Die Saar. Städtebau", erschienen bereits 1947, ist die Skizze für ein "großes Hotel für Saarbrücken" abgebildet, ein auf Stützen stehender Bau mit flachem Dach, betonten Erschließungstürmen, einer herausgehobenen Eingangssituation und Geschosshöhen, die zwei Ebenen einnehmen.

Auch der Vorschlag für ein Verwaltungsgebäude von 1948 zeigt eine auf Piloti gestellte lange Rechteckscheibe, mit untergeschobener Eingangshalle und rhythmisiert von Treppentürmen. Bei all diesen Bauten wird das Übereinanderlagern der Geschosse durch eine streng horizontale Ausrichtung betont, Fensterbänder und auskragende Balkone oder Laubengänge unterstreichen diese Tendenz, während die vorgestellten Treppentürme sie wieder durchbrechen und für ein harmonisches Gleichgewicht sorgen.



Das Botschaftsensemble
Die Botschaft nun erstreckt sich über die gesamte Grundstückslänge in Ost-Westrichtung mit dem prägnanten Abschluss des fast 100 m langen, aber nur 8 m breiten Verwaltungstraktes, der in einen nur wenig breiteren "Kopf" mündet. Dieser erschließt sämtliche Etagen und bündelt Treppen, Fahrstühle und Serviceeinrichtungen. Pingusson weicht also von seiner Idee der vor die Fassaden gestellten Treppentürme ab. Eine Begründung ist weder in den Archivalien noch der Literatur zu finden. So muss spekuliert werden: Vorgelagerte Treppentürme bedingen eine Erschließung von der Saaruferstraße. Ein Eingang hier wäre jedoch eine Konkurrenz zum repräsentativen Haupteingang im Ehrenhof und dürfte die gewünschte funktionale Trennung nicht mehr zulassen. Eine unliebsame Konsequenz der gewählten Kopfbauerschließung sind lange Wege für die Mitarbeiter.


Ein eingeschossiges, zweiseitig verglastes Entree schiebt sich in den Garten, setzte sich früher in einer Pergola fort. Sie wies den Besuchern den Weg und trennte Garten und anschließende Parkplätze an der Roonstraße.


1962 wurde die transparente Wand durch eine von Karl-Heinz Grünewald kunstvoll gestaltete Betonverglasung ersetzt, auch sie ist heute entfernt. (Enzweiler, 1997, S. 183) Damals fiel der Blick ungehindert aus dem Entree in den weitläufigen Garten. Der Betrachter entdeckte die ebenerdige offene Pfeilerhalle aus zwei Reihen eng nebeneinander stehender, sich nach unten verjüngender Stützen, sogenannten Pilotis. Sie heben den Bau vom Boden ab, Straßenraum und Garten fließen ineinander und die Blicke können ungehindert schweifen. Die Öffentlichkeit der Verwaltung korrespondiert auf der Erdgeschossebene mit einer Durchlässigkeit des Baus, während der "Kopf" ihn fest im Boden verankert.


Rechtwinklig an diese lange Scheibe schließt, weit in den Garten vorgeschoben, die Dreiflügelanlage des Repräsentationstraktes an und umfängt einen "Ehrenhof", der sich in die Saaruferstraße als Besucher Ein- und Vorfahrt öffnet. Die Mitte, das Corps-de-Logis, nimmt die Gesellschaftsräume auf, der westliche Flügel den Arbeitsbereich des Botschafters, der östliche Wirtschaftsräume.


Mit dem erneuten Wechsel der Funktionen differenziert auch die Baufigur zum letzten Mal. In L-Form beenden die Wohnräume des Botschafters den Gesamtkomplex im Osten. Auf der Südseite entstand ein geschützter privater Gartenbereich, auf der Nordseite war Platz für einen Wirtschaftshof, über den die Wohnung von der Keplerstraße aus betreten wurde. Drei eigenständige Eingänge ermöglichten somit eine konsequente Trennung der Besucher und entsprechen der Dreiteilung der Aufgabe.


Analog zu diesen verschiedenen Funktionen konstruierte Pingusson auch den Bau in unterschiedlicher Weise. Verwaltungsbau, Botschafterflügel und Corps de Logis mit den Gesellschaftsräumen sind als Stahlbetonbau bzw. als Stahlbetonskelett errichtet, der Wirtschaftsflügel und die Wohnung als Massivbau. Konsequent entwickelte er aus der Konstruktion auch die äußere Gestalt. Das Sichtbarmachen der Konstruktion war ein herausragendes Merkmal der modernen Architektur, bevor sich der "curtain wall", die Vorhangfassade durchsetzte, die die Konstruktion nun wieder versteckte.

 


Der Verwaltungsblock
Das Stahlbetonskelett des Verwaltungsbaus gewann Pingusson aus aneinander gereihten vorfabrizierten 1,20 m breiten Moduli, dem "Jochsystem" der Baubeschreibung, das sich aus Stützen und Längsträgern zusammensetzt. Sie bestimmen das Fassadenbild sowohl der Nord- wie der Südseite und charakterisieren sieben Bürogeschosse mit einem streng rechtwinkligen Raster aus horizontalen und vertikalen Linien, die wie ein Kunstwerk von einem umlaufenden breiten Wandstreifen gerahmt werden. Mit kostbaren Muschelkalkplatten verkleidet, fängt er das Stakkato der Stützen auf, das sich wie ein Netz als äußerste Wandschicht über die Fassade spannt und dieser ein betont senkrechtes Profil verleiht. Im Gegensatz zu Pingussons früheren Entwürfen tritt hier die horizontale Konstruktion in den Hintergrund und bleibt dennoch wirksam. Denn Gesimsbänder und Brüstungsfelder unter den Fenstern verbinden sich im Auge des Betrachters zu einer breiten durchgehenden Linie. Schließlich entfaltet sich in der perspektivischen Ansicht eine wahre Dynamik, wenn diese scheinbar als flache Ebene komponierte Wand sich im immer engeren Takt verdichtet. Die Lebendigkeit der Fassade verstärkten zusätzlich noch individuell zu öffnende, horizontal zu kippende Fenster. Sie wurden um 1985 ersetzt.


Auch die scheinbar gleichen Brüstungsfelder variieren. Auf der Gartenseite im Süden sind es Elemente aus hochrechteckigen Fensteröffnungen und niedrigen quadratischen Brüstungen, etwa im Verhältnis eins zu zwei geteilt. Auf der Nordseite ist das Verhältnis ein anderes, ein betont dreigeteiltes, nämlich: Brüstung – Fenster– Brüstung, wobei sich untere und obere Brüstung über die Etagen hinweg zu einem langrechteckigen Feld zusammenschließen. In dieser Teilung steckt ein Überbleibsel der ersten Pläne, in denen Pingusson zweigeschossige Büroräume vorschlug. Sie sollten sich mit einer Empore in den langen, notwendigerweise schmalen Korridor schieben und hätten nicht nur Licht von zwei Seiten bekommen, sondern auch den Blick auf die Saar erlaubt.

Dieses Prinzip hatte er erfolgreich im Hotel Latitude 43 erprobt. Dass nur der lange Flur übrig blieb, haben die beiden hiesigen Architekten zu verantworten, die den Pingusson-Plan vereinfachten, aber sicher nicht verbesserten. "Die Abschirmung der Büroräume zur Saar machen einen der Kompromisse deutlich, die Pingusson bei der Realisierung eingehen musste." (Haufe-Wadle 2006, S. 10; s. a. Wadle 1995) Baur und Schultheis begründen ihren Eingriff so: "Die Flurfenster gegen die Saar hin sind ihrem Zweck entsprechend bewusst klein gehalten, wobei die große Wandfläche durch Betonung der Pfeilergliederungen und farbige Behandlung der Fensterbrüstungen innerhalb eines wohltuenden Rahmens einen reizvollen Kontrast bilden." (Natur und Technik 1955, S. 57) Die Folge aber war, dass trotz der variablen Breite und der Ausrichtung nach Süden, nur schlecht beleuchtete Büroräume entstanden, die heute zudem mangelhaft isoliert sind, aber damals dem Stand der Technik entsprachen.


Pingusson war zwar ein Verfechter des funktionalen Bauens, lehnte jeglichen Dogmatismus aber ab. Er trennte entschieden zwischen Erschließung und Arbeitsräumen, nicht nur in der Anlage des Grundrisses, sondern auch in der ästhetischen Aussage der Fassaden. Dieses Prinzip zeigt sich im gesamten Komplex der Botschaft, hier im Verwaltungstrakt in der unterschiedlichen Behandlung der Süd- und der Nordseite sowie des Baukörperkopfes, der mit breiter, weitgehend geschlossener Wandfläche die Fassadenlänge eindeutig begrenzt. Ein Prinzip der klassischen Baukunst, damals notwendig, um die Festigkeit der Statik durch Mauerwerk zu unterstützen, nutzt er als gestalterisches Moment. Er teilt die Fläche nach einem an den Muschelkalkplatten abzulesenden Zahlenverhältnis 2:3:5, ein Zahlenverhältnis, das in der Architektur seit der Antike als ein besonders ausgewogenes harmonisches Verhältnis gilt. Der zwei Platten breite Streifen gehört zum Rahmen wie zum Kopf und vermittelt zwischen offener Fensterfront und geschlossener Wand.


Drei Platten breit zeigt sich die senkrechte Reihe aus jeweils zur Vierergruppe zusammen gefasster kleiner Rundfenster. Sie perforieren die Wand und markieren die Mittelachse, während die fünf Platten breite zweite Wandhälfte geschlossen bleibt. Auch die Stirnseite proportioniert Pingusson nach einem Zahlenrhythmus. Ein Drittel der Fassadenbreite beherrscht ein weit vorstehendes Fensterband aus Glasbausteinen, das vom Boden bis zum Dach aufsteigt. Die seitlichen Wandabschnitte unterbrechen wieder das Motiv der Rundfenster, die sorgfältig in die Plattenstruktur eingebunden sind.

In der traditionellen Architektur bildete das Dach mit seinen verschiedensten Formen den krönenden Gebäudeabschluss. Hier tritt an seine Stelle die Dachterrasse. Die umlaufende gedeckte Pergola hoch oben erscheint in der Ansicht als Flugdach. Sie begrenzt den Bau eindeutig gegen den Himmel. Den Abschluss mit einer Dachterrasse hatte Pingusson bereits im Hotel Latitude 43 erprobt– wie dieses Motiv viele Architekten der Moderne nutzten, häufig allerdings nur bei Einfamilienhäusern. Einen Bau vergleichbarer Länge errichtete damals auch Le Corbusier, der wenige Jahre zuvor die Maison d`Habitation in Marseille mit einem Dachgarten ausstattete. In der Botschaft betrat man das Dach über das Mitarbeiter-Casino im 7. Obergeschoss; es soll bei schönem Wetter auch eifrig besucht worden sein. Allerdings halten Schönwetterperioden in Saarbrücken im Gegensatz zu Marseille nicht lange und die Bedeutung der Dachterrasse als Erholungs- und Feierraum ging verloren. Auch das Casino, Speise- und Ruhe- und Lesezimmer der Mitarbeiter, wurde funktionslos und zu Büroräumen umgenutzt und die künstlerische Ausgestaltung entfernt, teilweise auch zerstört. Die Stirnwand schmückte ursprünglich ein Wandrelief von Boris Kleint. Die plastischen Farbformen setzten sich als farbige Flächen auf drei Glaselementen fort, die mit Hilfe eines Trägersystems zu einem transparenten Raumteiler verbunden waren. (Enzweiler 1997, S. 206)

Obwohl im Kern nur eine standardisierte monotone Anhäufung von Arbeitszellen, wird der Verwaltungstrakt durch seine ungewöhnlichen Proportionen, durch Pilotis und Dachterrasse, die über das tatsächliche Bauvolumen hinwegtäuschen und es leichter erscheinen lassen, durch die raffinierte Detaillierung und verhaltene Dynamik seiner Fassaden zu einem poetischen Signal der Baukunst.

 


Der Repräsentationsblock
Die im Gesamtensemble herausragende Rolle des Repräsentationstraktes wird nach Außen durch die Bauanlage betont: einem "Ehrenhof" im Norden und einer großzügigen Gartentreppe im Süden. Sie begleitet den Corps-de-Logis in ganzer Länge und verbindet die Innenräume mit dem parkartigen Garten. Erneut arbeitet der Architekt mit einem bewährten traditionellen System, das sich in der klassischen französischen wie auch der deutschen Schlossarchitektur immer wieder findet, dem Pingusson aber mit den Mitteln der modernen Architektur ein zeitgemäßes Gesicht verleiht. Filigrane Stützen unterbrechen die ganz in Glas aufgelöste Wand und gliedern sie in einzelne Elemente. Deren jeweilige Mitte öffnen zweiflügelige Terrassentüren, seitlich begleitet von schmaleren Feldern. So entsteht ein geradezu leichtfüßiger Rhythmus, wie ein Walzertakt aus: eins, zwei, drei oder: breit – schmal – schmal. Die untergeordnete horizontale Linienführung in der Wand deuten nur ein durchlaufender schmaler Steg über den Türen sowie das leicht auskragende Dachgesims an. Sonnensegel unterstreichen den beschwingten Charakter.


Immer wieder galt das Streben moderner Architekten, den Zusammenhang von Innen- und Außenraum zu verdeutlichen. Die gläserne Wand als Kristallisation zweier Räume haben Bauhausarchitekten und insbesondere Mies van der Rohe oder Le Corbusier vorbildlich gelöst, Pingusson steht dem nicht nach. Der westliche Teil dieser Gartenfassade nun scheint wieder fest gefügter, dem Arbeitszimmer des Botschafters gemäßer, das sich dahinter befindet. Einzig ein großes quadratisches Fenster mit weit auskragenden Gewänden beherrscht die weiß verputzte Wand.

Als ein ebenfalls klassisches Architekturelement präsentiert sich die Anlage eines "Ehrenhofs", dessen Fassaden der jeweiligen Funktion entsprechend gegliedert sind. Die Sockelzone des westlichen Flügels schmückt ein Sgraffito von Otto Lackenmacher und Peter Guggenbühler, darüber sind in zwei Etagen dreiteilige Fensterelemente aneinandergereiht und werden wie im Verwaltungstrakt von einem rahmenden Band zusammengefasst. Auf der großen Wandfläche des gegenüberliegenden Flügels wiederholt sich das bekannte Motiv der perforierenden Rundfenster.

Die Hauptrolle jedoch spielt die transparente Fassade des Corps-de-Logis. Schlanke Stützen führen hoch hinauf bis zu einem schmalen horizontalen Wandstreifen unter dem auskragenden Dachgebälk und geben den Teilungsrhythmus der Glaswand vor. Als moderne Interpretation einer Kolossalordnung, erinnert sei an die Louvre-Kolonnaden von Perrault, symbolisiert sie die politische Bedeutung einer Botschaft, die Kultur und Macht des Heimatlandes nicht mehr demonstrativ, dennoch aber verschleiert zur Schau stellt.


Der Besucher betrat die Botschaft durch den Eingang in der Mitte des Corps-de-Logis, einen fragilen Windfang aus Glas, über den ein weit auskragendes, schützendes Dach zu schweben scheint, das tatsächlich jedoch von zwei Säulen, hier allerdings ohne Basis und Kapitell, getragen wird und als zeitgemäße Variante eines Eingangstores angesehen werden kann. Die transparente Übergangszone von außen nach innen führt in eine elegante zweigeschossige Vorhalle, die die gesamte Länge des Corps-de-Logis einnimmt, und stößt im Eingangsgeschoss zunächst auf eine geschlossene, mit Marmor verkleidete Wand - dahinter verbergen sich Garderoben und Toilettenräume. Diese dient gleichzeitig als hoher massiver, durch Lisenen gegliederter Sockel, über denen sich eine Säulenreihe mit dazwischen geschobenem Geländer erhebt. Sie begrenzen die "Ehrengalerie" im Obergeschoss, das auf der Ebene des Gartens liegt, und öffnen und schließen diese Empfangszone. Dem engen Raster der Stützen in der transparenten Außenwand der Vorhalle antworten weit auseinander stehende Säulen als gefühlter, jedoch keineswegs trennender, da durchlässiger Abschluss. In diese über zwei Ebenen fließende Raumeinheit schiebt sich als grandioser Auftakt eine raumbreite Treppe mit weißen Marmorstufen, beidseitig begleitet von einem massiven Geländer aus dem Wandmaterial. Ein umlaufendes Band aus farbig abgesetztem Marmor fasst die Wangen ein. Den Handlauf formen schlichte eng nebeneinander stehende Baluster. Dieses Motiv setzt sich im Geländer der Galerie fort. Wieder nutzt Pingusson ein traditionelles Architekturmotiv, übersetzt in die klare Sprache der Moderne. Von oben können Ankommende gesehen werden, wenn sie hinauf schreiten in zunehmende Weite und immer stärkere und intensivere Lichterfülle. Jetzt entdeckt der Besucher auch eine zweite parallele Säulenreihe, die Galerie übernimmt die Rolle eines Foyers oder Wandelganges vor den Repräsentationsräumen. In einer Enfilade folgen aufeinander: der langgestreckte Speisesaal im Osten, der mittlere, größte Saal und im Westen der Salon mit einer kleinen, in einer Klappwand versteckten Bühne.


Klappwände trennen die einzelnen Räume voneinander, so dass sie sich zu einem einzigen großen Festsaal vereinen lassen. Ebenfalls fügen sich Wandelemente zu einer beweglichen Längswand, die, zusammengeschoben, eine geschlossene, auch optische Grenze bilden. Aber geöffnet fällt der Blick auf die transparente Außenwand und weiter hinaus in den Garten, die Wirkung von Weite und Lichterfülle steigernd. Sind schließlich auch noch die Querwände zusammen geklappt, steht der Besucher in einem lichtdurchfluteten Raumkontinuum von höchster Flexibilität und beeindruckender Transparenz, das in seiner Abfolge von Vorhalle, Ehrengalerie und Empfangsräumen protokollgerecht genutzt werden konnte. Dieser Eindruck bietet sich uns Heutigen.

Die Differenzierung der Räume lässt sich auch an Details ablesen, etwa dem Wechsel im Fußbodenbelag: Marmorplatten mit einem sparsam verteilten Muster aus kleinen Dreiecken gehen über in dunkles, in diagonalem Schachbrettmuster verlegtes Parkett.

Eine raffinierte, von Pingusson für diesen Bau entwickelte künstliche Deckenbeleuchtung verstärkt den vornehmeleganten, großzügigen Raumeindruck. Große runde Deckenleuchten, von kleinen Rundstrahlern wie Satelliten umgeben, betonen die Längsrichtung von Vorhalle und Ehrengalerie, während in den Gesellschaftsräumen eine Leucht- und Akustikdecke überrascht. Das Stakkato herabhängender Platten aus einem schalldämmenden Material rhythmisiert die Raumrichtung. Auf die Stützen in der Fensterwand werfen die gebündelten Stäbe der Wandlampen ihr Licht.

Die Stirnwände der Vorhalle schmücken kostbare Wandtapisserien von François Arnal. Mit der Inneneinrichtung wurde nicht Pingusson, der diese Aufgabe gerne übernommen hätte, sondern sein UAM-Freund Jacques Dumand von Grandval beauftragt. Sie verkörpert trotz einer formal sachlichen Formensprache den Luxus französischer Innenraumgestaltung. Auf dicken Teppichen sind einzelne Sitzgruppen im Raum verteilt. Jedes der unterschiedlich gestalteten Sitzmöbel, jeder Tisch oder die Bar sind ein Unikat und noch handwerklich hergestellt, während der von der französischen wie deutschen Avantgarde durchgesetzte Trend bereits zu industriell, in Serie fabrizierten Möbeln gegangen war. Vor der Fensterwand hingen Vorhänge und verhinderten den Einblick aber veränderten auch den Raumeindruck. Die Ausstattung ging verloren, aber das Farbkonzept wird beschrieben: "braune Fell- und graue Wollteppiche, senfgelbe Lehnsessel, einen Couchtisch aus Birnbaumholz mit teilweise grauer Lackierung, sowie graue Sessel mit bunten Kissen dekoriert." (Haufe-Wadle 2006, S. 11)

Aus der Ebene der Gesellschaftsräume führt die Treppe in einem zweiten kürzeren Lauf hinauf in den Botschafterflügel. Hier glänzte das Arbeitszimmer des Botschafters mit wertvoller Ausgestaltung, entworfen von dem Pariser Künstler Raphael: die Wände verkleidet mit Marmorplatten und honigfarbenem Lackfurnier, ein Schreibtisch aus Buchenholz und ein dazu passendes Sideboard, ein Besprechungstisch mit Aluminiumgestell und Glasplatte. Einiges davon ist erhalten.

Die Enfilade der Repräsentationsräume setzt sich fort mit den privaten Gesellschaftsräumen des Botschafters, nachdem zunächst eine kleine Halle beide Bereiche voneinander trennt. Auf das ganz in Holz ausgekleidete Speisezimmer folgt der Salon, erst danach beginnt die eigentliche Privatsphäre. Eine hölzerne Treppe mit schmiedeeisernem Geländer führt hinauf in die obere Etage mit dem Rauchsalon, dem privaten Arbeitszimmer des Botschafters und den Schlafräumen. In die kostbar mit Leder ausgekleideten Wände des Arbeitszimmers sind Bücherschränke und Rundfunkgeräte eingebaut. Dieser Teil der Botschaft ist heute umfunktioniert zu Büroräumen, doch nach wie vor in seinem Charakter bewahrt.

Le Corbusier und Pingusson, Zeit- und Weggefährten, blieben zeitlebens einem funktionalen Bauen verhaftet. Doch während Le Corbusier begann, aus dem starren Beton organische Formen zu gießen, gewann Pingusson die Poesie seiner Bauten aus der künstlerischen Freiheit, architektonische Zwänge zu überspielen. Betrachtet man das scheinbar so rationale Gesamtgefüge des Botschaftsensembles genauer, entdeckt man überall die raffinierten Abweichungen von der Regel, die Beachtung der Angemessenheit, auch den Rückgriff auf traditionelle Wurzeln und Bezüge und das meisterliche Können, jeder Funktion die ihr gemäße Aussagekraft zu verleihen, um daraus ein harmonisch aufeinander bezogenes untrennbares Ganzes, ein Gesamtkunstwerk zu formen.

 

Marlen Dittmann

 

 

Literatur

  • L‘Architecture d`Aujourd`hui, 1953, S. 82
  • Der Neubau der französischen Botschaft in Saarbrücken. In: Natur und Technik. Zeitschrift für Kunst, Naturwissenschaft, Technik, Heft 4, 1955, S. 57
  • Anne Katrin Wadle: Die ‚Ambassade de France‘ an der Saar von Georges-Henry Pingusson. Unveröffentlichte ­Magisterarbeit, Universität des Saarlandes, ­Saarbrücken 1995
  • Jo Enzweiler (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum. Saarbrücken Bezirk Mitte. Saarbrücken 1997, S. 183
  • Simon Texier: ­Georges-Henri Pingusson. ­Architecte, 1894-1978. Editions Verdier. Paris 2006
  • Anne Katrin Haufe-Wadle: ­Repräsentation zwischen ­Funktionalismus und Poesie. Zur ­Architektur der ehemaligen ­"Ambassade de France" von Georges-Henri Pingusson. In: Saar-Geschichten 2006, Heft 2, S. 8-13

 

 

Redaktion: Oranna Dimmig, Claudia Maas


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