Gottfried Böhm. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 211

Gottfried Böhm 

Kapelle St. Kolumba, Köln, 1947-50. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 85

Kapelle St. Kolumba, Köln, 1947-50 

Haus Böhm, Köln-Weiss, 1954-55. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 37

Haus Böhm, Köln-Weiss, 1954-55 

St. Albert, Saarbrücken-Rodenhof, 1952-55. Foto: LPM, Saarbrücken-Dudweiler

St. Albert, Saarbrücken-Rodenhof, 1952-55 

St. Ursula, Hürth-Kalscheuren, 1956. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 97

St. Ursula, Hürth-Kalscheuren, 1956 

Unsere Liebe Frau, Oberhausen, 1956. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 108

Unsere Liebe Frau, Oberhausen, 1956 

Ausbau der Godesburg, Bonn-Godesberg, 1956-61. Foto aus: Svetlozar Raev (Hg.): Gottfried Böhm - Bauten und Projekte 1950-1980. Köln 1982, S. 36

Ausbau der Godesburg, Bonn-Godesberg, 1956-61 

Rathaus, Bergisch-Gladbach-Bensberg, 1962-71. Foto aus: Ulrich Weisner (Hg.): Zusammenhänge. Der Architekt Gottfried Böhm. Bielefeld 1985, o. S.

Rathaus, Bergisch-Gladbach-Bensberg, 1962-71 

Kinderdorf Bethanien, Bergisch-Gladbach, 1962-68. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 149

Kinderdorf Bethanien, Bergisch-Gladbach, 1962-68 

Maria Königin des Friedens, Velbert-Neviges, 1963-72. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 71

Maria Königin des Friedens, Velbert-Neviges, 1963-72 

Maria Königin des Friedens, Velbert-Neviges, 1963-72. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 77

Maria Königin des Friedens, Velbert-Neviges, 1963-72 

Christi Auferstehung, Köln-Melaten, 1964-70. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 196

Christi Auferstehung, Köln-Melaten, 1964-70 

Christi Auferstehung, Köln-Melaten, 1964-70. Foto aus : Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 196

Christi Auferstehung, Köln-Melaten, 1964-70 

St. Ludwig, Saarlouis, 1965-70. Foto: Architekturführer Saarland. Saarbrücken 1982, S. 67

St. Ludwig, Saarlouis, 1965-70 

St. Maria Verkündigung, Alfter-Impekoven, 1967-72. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 122

St. Maria Verkündigung, Alfter-Impekoven, 1967-72 

Wallfahrtskirche Maria vom Sieg, Wigratzbad, Allgäu, 1972-76. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 207

Wallfahrtskirche Maria vom Sieg, Wigratzbad, Allgäu, 1972-76 

Gemeindezentrum, Essen-Kettwig, 1973-83. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 125

Gemeindezentrum, Essen-Kettwig, 1973-83 

Wallraf-Richartz-Museum und Museum Ludwig, Köln, 1976, unrealisiert. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 210

Wallraf-Richartz-Museum und Museum Ludwig, Köln, 1976, unrealisiert 

Ausbau des Schlosses, Saarbrücken, 1977-89. Foto: Dieter Leistner

Ausbau des Schlosses, Saarbrücken, 1977-89 

Bürgenzentrum, Saarbrücken-Dudweiler, 1977-84. Foto: Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt

Bürgenzentrum, Saarbrücken-Dudweiler, 1977-89 

Züblin-Haus, Stuttgart-Vaihingen, 1981-85. Foto aus: Ulrich Weisner (Hg.): Zusammenhänge. Der Architekt Gottfried Böhm. Bielefeld 1985, o. S.

Züblin-Haus, Stuttgart-Vaihingen, 1981-85 

Kunsthalle. Hamburg, 1986. Unrealisiert. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 28

Kunsthalle. Hamburg, 1986. Unrealisiert 

Bezirksrathaus, Köln-Kalk, 1986-92. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 184

Bezirksrathaus, Köln-Kalk, 1986-92 

Gottfried Böhm und Kraemer, Sieverts & Partner (KSP), Hotel Maritim. Köln, 1987-89. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 183

Gottfried Böhm und Kraemer, Sieverts & Partner (KSP), Hotel Maritim. Köln, 1987-89 

Deutsche Bank Luxemburg, 1987-91. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 180

Deutsche Bank Luxemburg, 1987-91 

Umbau Reichstag, Berlin, 1988-92, unrealisiert. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 25

Umbau Reichstag, Berlin, 1988-92, unrealisiert 

Gottfried Böhm und Peter Böhm. WDR-Arkaden. Köln, 1991-96. Foto: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 52

GB und Peter Böhm, WDR-Arkaden. Köln, 1991-96 

Philharmonie, Luxemburg, 1997. Unrealisiert. Foto: Wolfgang Voigt(Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 55

Philharmonie, Luxemburg, 1997. Unrealisiert 

Stadtbibliothek, Ulm, 1998-2004. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 56

Stadtbibliothek, Ulm, 1998-2004 

Hans-Otto-Theater, Potsdam, 1995-2006. Foto aus: Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm. Berlin 2006, S. 58

Hans-Otto-Theater, Potsdam, 1995-2006 

Aspekte: Die Kunst, unverwechselbar zu sein. Tradition und Innovation im Werk Gottfried Böhms

Letzte Änderung: 23/04/2012

Mit der Geschichte der deutschen Architektur im 20. Jahrhundert und speziell mit der des Sakralbaus ist der Name Böhm unabdingbar verknüpft. Dominikus Böhm, der Vater Gottfried Böhms, war einer der großen katholischen Kirchenbauer zwischen dem Ersten Weltkrieg und den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Dominikus Böhm war eng verbunden mit der Liturgischen Bewegung, der er früh bedeutende Entwürfe geliefert hat. Seitdem konnte man sich vorstellen, wie sich dieses innerkirchliche Reformwerk architektonisch auswirken würde. An Einfluss und Umfang des Werks kam ihm im katholischen Kirchenbau nur Rudolf Schwarz gleich, der als junger Architekt mit dem älteren Böhm zusammengearbeitet hat und zeitlebens mit ihm in distanzierter Freundschaft verbunden blieb.

Gottfried Böhms Name steht zum ersten Mal im Jahre 1946 auf dem Plan eines größeren Projekts neben dem des Vaters; das war ein nicht realisiertes Projekt für ein Knabenkonvikt im Eifelort Prüm. Das Werkverzeichnis in der Biografie von 2006 erwähnt allerdings ein noch früheres aus dem Jahr 1942. Aber das war - ein Hühnerstall im Geburtsort des Vaters, im schwäbischen Jettingen, wo die Familie während des Zweiten Weltkriegs Zuflucht gefunden hatte. Gottfried Böhm machte 1946 in München sein Diplom, nachdem er an der Technischen Hochschule Architektur studiert hatte, doch auch Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste. Bildhauer zu werden, war eine berufliche Alternative, die ihm reizvoll erschien. Aber das Atelier des Vaters bot die Möglichkeit, sich wie selbstverständlich ins Bauen einzuarbeiten. Gottfried Böhm hat verschiedentlich an anderen Stellen und in anderen Partnerschaften mitgearbeitet, sich auch für ein halbes Jahr in den USA aufgehalten. Doch als der Vater 1955 starb, war es keine Frage, dass der inzwischen berufserfahrene Sohn das Kölner Büro des Vaters weiterführen würde. Auch Gottfried Böhm war Kirchenbauer, bis in die siebziger Jahre hinein sogar überwiegend. Die Werkliste zählt an die 70 realisierte Kirchen.

Von Gottfried Böhms vier Söhnen sind drei selbst wieder Architekten geworden und haben ihrerseits Kirchen gebaut, sogar in diesen Jahren, in denen der Bau neuer Kirchen zu einer Rarität geworden ist. Nimmt man hinzu, dass auch die Generation vor Dominikus Böhm, das Großelternhaus von Gottfried Böhm also, schon im Baugeschäft tätig war, zeichnet sich das Bild einer weit verzweigten Baumeisterfamilie ab, wie sie in anderen Zeiten üblicher war als heute, im Mittelalter bei den Parlers, im Barock bei den Bährs, Dientzenhofers oder Thumbs. In unseren schnelllebigen Zeiten nimmt es sich fast wie ein Anachronismus aus, dass und wie die Väter und Söhne Böhm - Gottfried Böhms Frau Elisabeth nicht zu vergessen, gleichfalls Architektin - über Generationen hinweg Kontinuität und vor allem Qualität gewahrt haben, Wissen und Erfahrung überliefert haben. Das muss nicht verbal geschehen; bei Architekten läuft ja ohnehin vieles über Skizzen, Zeichnungen, Modelle. Man weiß in den Wohnhäusern und Ateliers der Böhm-Familie, die über das Kölner Villenviertel Marienburg verstreut sind, jedenfalls auch ohne große Worte, was zum Namen Böhm passt und was nicht.

In Iwan Turgenjews Roman Väter und Söhne sind die Väter die liberalen Idealisten und die Söhne die rebellierenden, illusionslosen Materialisten. Mit solchen handlungsträchtigen Konflikten kann die Architektenfamilie Böhm nicht aufwarten. Bei ihr existiert so etwas wie ein ungeschriebener Generationenvertrag. Man redet miteinander, übt wechselseitige Kritik, hat natürlich im Kopf, was der Vater und was der Großvater gebaut und entworfen haben. Die Büros der Söhne sind durchlässig untereinander, der Grad der Unabhängigkeit wechselt. Böhm senior - jetzt ist Gottfried Böhm gemeint - hat schon mit jedem seiner drei Söhne gemeinsam Projekte entwickelt. Hat der eine mehr Aufträge, als er zur Zeit bewältigen kann, beteiligt er den oder die anderen daran. Natürlich ergeben sich daraus auch Profilierungsprobleme. Denn letztlich möchte auch jedes der Familienmitglieder als Architekt sui generis wahrgenommen werden, mit erkennbar eigener Handschrift. Für künftige Architekturhistoriker wartet da eine Menge unterscheidender Arbeit.

Schon der erste Bau, mit dem Gottfried Böhm sich in die Geschichte der deutschen Nachkriegsarchitektur und - vielleicht noch wichtiger - in die Herzen der Kölner eingeschrieben hat, war ein Auftrag, der vom Älteren dem Jüngeren weitergegeben wurde, von Vater Dominikus an den Sohn. Dominikus war mit dem Neubau einer Kapelle im Ruinengelände von St. Kolumba beauftragt und überließ in einem wechselvollen Planungsprozess die Aufgabe dem Jüngeren. Es gibt in Nachkriegsdeutschland nur wenige Gebäude, an denen sich die Stimmung der allerersten Nachkriegsjahre so sehr festmachen ließ wie an diesem kleinen, achtseitigen Zentralbau, dem der erhaltene Turmstumpf und ein Vorraum als kleines Schiff dient. Eine spätgotische Muttergottes hatte am Chorpfeiler den Bombenhagel überstanden. Ihre Rettung galt als ein Wunder, vermittelte in der Not der Jahre die Hoffnung aufs Überleben, wirkte als ein Symbol des Lebens, des physischen wie des spirituellen. Der Bau ist mit alter und neuer bildender Kunst überreich versehen - Thorn-Prikker, Campendonk, Meistermann, Mataré, Ludwig Gies. Er konnte gar nicht genug geziert und geschmückt werden, als Zeichen der Verehrung und Dankbarkeit für die Rettung aus der Katastrophe. Ein Wasserspeier in Gestalt eines Bären stammt vom Architektenbildhauer Böhm selbst.

Man sieht es dem Miniaturbau kaum an, aber er war zugleich ein technisch innovatives Bauwerk. In der kurzen Längsachse vor dem Oktogon liegt ein Stahlträger, von dem ein mit Beton belegtes Maschennetz abgehängt ist. Der geschweifte Giebel an der Straßenfront zeichnet die durchhängende Dachform nach. Unter Kölnern war dieser kleine Bau ein Zufluchtsort bis auf heutige Tage. Wer abseits der nahen Geschäftsstraßen einen Moment der Sammlung und Stille brauchte, ging über einen kleinen ausgesparten Vorplatz in die Kapelle und rastete, das Einkaufsnetz oder die Aktentasche neben die Kirchenbank gestellt, für ein paar Augenblicke im dunklen Glanz der Farbfenster. Jetzt wird dieser kleine Bau überfangen vom neuen Diözesanmuseum, das der Schweizer Baumeister Peter Zumthor auf diesem Grundstück errichtet.

Gewiss, die Kapelle wurde nicht abgerissen, sie blieb materiell erhalten und von der Straße her direkt zugänglich. Aber an der neuen hohen Westfassade zeichnet sie sich nur noch als grafisches Bild ab, als Schatten gewissermaßen. Als dreidimensionales Volumen ist der eingehauste Bau von außen nicht mehr abzuschätzen. Ringsum ist die Situation der Zerstörung, die den kleinen Neubau erklärte, beseitigt. Sechzig Jahre danach mag offenbar niemand mehr Trümmer sehen. Im umgebenden, nun überdachten Ausgrabungsgelände des ehemaligen Kirchenschiffs von St. Kolumba und darüber in den Ausstellungsetagen wandeln die Besucher des Museums. Zugegeben, es ist ein besonderes, nicht kunsthistorisch konzipiertes Museum, das den Dingen einen Teil ihrer einstigen sakralen Ausstrahlung belässt, und zugegeben: Zumthor ist ein Meister, der sich auf die Erzeugung von Aura versteht. Trotzdem: kann man sich Menschen in der Kapelle darunter in Andacht oder stiller Konzentration vorstellen, während rings umher, nur durch Mauerbreite getrennt, Kunst- und Geschichtsfreunde ihren ganz andersgearteten Interessen nachgehen? Beim Wettbewerb, in dem der Schweizer Zumthor sich mit dem ersten Preis durchsetzte, hatte keiner der Kölner Architekten in ihren eingereichten Entwürfen dieses Bauwerk überbauen wollen. Sie wussten, warum.

Mit der Kapelle von St. Kolumba in Köln begann Gottfried Böhms eigener Weg. Er führte zu einem Werk von ausgeprägter Eigenart, die sich in einer ebenso ungewöhnlichen Art und Weise entwickelte. Natürlich kann sich niemand, der heute mit Erfolg bauen will, dem Geist der Zeit entziehen. Der wehte in den vergangenen Jahrzehnten ja oft sehr heftig und wechselte schnell die Richtungen. Auch bei Böhm weiß man fast immer, wann ein Bau entstanden ist und welcher internationale Kontext dazugehört. Es ist ja kein Oeuvre, das außerhalb der zeitgenössischen Welt entstanden wäre - falls so etwas überhaupt möglich ist.

Als die Moderne nach Deutschland zurückkehrte und den jungen Architekten 1951 Mies van der Rohe in Chicago und Walter Gropius in Harvard beeindruckt hatten, entwarf er flache Bungalows und leichte Gerüststrukturen; sogar für sein eigenes Wohnhaus am Rheinufer. In den sechziger Jahren war der so genannte Brutalismus mit seinen eindrucksvollen Betonskulpturen unterwegs. Böhm zeichnete und errichtete Theater wie Felsschollen, Rathäuser als Bürgerfestungen, Gotteshäuser wie Wehrkirchen. Manchmal erinnern diese Felsen aus Beton und Glas an Visionen, wie sie vierzig Jahre zuvor die Expressionisten aufs Papier brachten, aber fast nie realisieren konnten. Nicht zufällig hat auch Vater Dominikus in den zwanziger Jahren einige der eindrücklichsten Sakralbauten in stimmungsvoller Expressionistengotik entworfen. Böhm senior registrierte mit Behagen, dass ihn die Mitwelt als einen der ausgefallensten Expressionisten seiner Zeit betrachtete.  

Der so genannte Strukturalismus mit seinen zellularen Konzepten und hierarchiefeindlichen Reihungen, den vor allem die Niederlande exportierten, führte bei Böhm zu Baugruppen, die sich aus einzelnen gleichrangigen Zellen zusammensetzen. Gemeindezentren werden jetzt zu Pilgerlagern. Nur die Orte der Prinzipalstücke - Altar, Sakramentsort, Taufstelle - sind durch höhere Aufbauten ausgezeichnet. Als die Weltraumfahrt mit ihren Raketenstationen die Architekten zu technologischen Megastrukturen ermutigte, fühlte Gottfried Böhm sich zu humoristisch bewimpelten Turmgerüsten inspiriert, die bestenfalls als Abschussrampen für Silvesterraketen hätten dienen können.

Sogar die Postmoderne meint man gelegentlich im Schaffen Gottfried Böhms zu spüren: beispielsweise in symmetrisch geordneten, palastartigen, mit Rundtürmchen bestückten Verwaltungs- oder Bankgebäuden. Die vorherrschende rhetorische Figur der Postmoderne war die zitierende Ironie. Der Witz lag in den heterogenen Quellen, die für die Kenner und Wissenden kompiliert wurden, für den Unwissenden sich aber nur als etwas Buntes, Abwechslungsreiches darstellten. Das machte die Postmoderne zu einer hochmütigen Angelegenheit, die zwischen dem Spaß der Intellektuellen und dem unaufgeklärten Vergnügen der Menge unterschied, obwohl sie die einen wie die anderen bediente. Bei Böhm changieren Bauten dieser Epoche zwischen Märchenlaune und Humor. Hochmut liegt ihnen fern, die Ambivalenz der Äußerungen ebenso.  

Denn merkwürdig: Aus allen diesen Arbeiten und Anregungen von außerhalb wurden Gebilde, die unverwechselbar Böhm sind. Mit Vorstufen im eigenen Werk oder bei seinem Vater Dominikus haben sie mehr zu tun als mit dem, was in- oder ausländische Architekten anderswo machten. Man könnte von zwei Zeitachsen sprechen. Die eine ist die horizontale, die einen Künstler mit dem verbindet, was Zeitgenossen tun und treiben. Die andere ist die vertikale, die das gegenwärtige Werk mit dem vergangenen, dem eigenen wie den ihm nahestehenden, verbindet. Gottfried Böhms Arbeit ist mehr von der vertikalen als von der horizontalen Achse bestimmt. Was von außen hereinkommt, wird geprüft und beurteilt. Aber gemessen wird es an den Maßstäben, die sich aus dem bereits Erreichten, Gefundenen, Bearbeiteten ergeben, aus dem, was aus der Vergangenheit in die Gegenwart hereinsteht. Und nur dann werden sie als mitsprechender Einfluss zugelassen. In diesem Sinne ist Gottfried Böhm ein Traditionalist. Die Tradition des eigenen Schaffens, die der Familie und auch die der Baugeschichte sind ihm wert und teuer. Das Neue ergibt sich aus den Verwandlungen des Vorhandenen; selten aus einem völlig andersartigen Ansatz.

Das bedeutet: Dieses Werk kennt Haltungen, Themen und Motive, die es kennzeichnen, wann immer auch die einzelnen Bauten entstanden sind. Manchmal kehren sie nach langer Zeit wieder. Böhm vergisst selten etwas. An manchen Aufgaben arbeitet er unvernünftig lange, auch dann noch, wenn die Aktualität längst über sie hinweggegangen ist. Am Umbauentwurf des Wallotschen Reichstagsgebäudes in Berlin hat er noch gesessen, als der Wettbewerb 1993 abgeschlossen war und der glücklichere Konkurrent Norman Foster längst den Auftrag hatte. Es war eine Aufgabe, die ihn nicht losließ. Böhm war mit sich selbst noch nicht im Reinen, und er nahm sich die Zeit, die es brauchte, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Über Themen und Motive ist leichter zu sprechen als über Haltungen. Ein Thema, das Gottfried Böhm von Anfang an beschäftigt hat - schon bei der Kapelle von St. Kolumba - ist das der hängenden, fast textil wirkenden Eindeckung. „Gewebedecken“ nannte Böhm diese Technik der aufgehängten, betonierten Eisennetze. Sie haben Vorgänger im Werk des Vaters, der in Kirchen der frühen und mittleren 20er Jahre mehrfach Putzschalen verwendete, die an Konstruktionseisen befestigt waren. Solche scharfgratigen Rabitzkonstruktionen überspielten die Trennung von tragenden Wänden und getragener Decke. Aber die hängenden Betonschalen seiner eigenen „Gewebedecken“, mit Stahlseilen stabilisiert, schienen dem Jüngeren konstruktiv richtiger als die fulminanten Scheingewölbe aus dem väterlichen Atelier.

Diese Rolle der Technik als einer Inspirationsquelle ist ein Moment, das man nicht leichterdings mit Gottfried Böhms Schaffen verbindet. Als dienendes Element bei der Verwirklichung seiner Formvorstellungen hat er der Bautechnik, vor allem dem Betonbau, stets ein hohes Maß an Leistung abverlangt. Aber als Anregung und Inspiration wird man der Technik nicht so leicht eine größere Bedeutung in seinem Werk einräumen wollen. Tatsächlich jedoch sind in jeder Phase seines Schaffens - und in der frühen besonders häufig - Bauten entstanden, die ihren Gestus aus der Kunst des Wölbens und Überfangens entnehmen. Bei der Kolumba-Kapelle muss man genau hinschauen, um den quasi textilen Faltenwurf der Raumdecke zu erkennen. Bei anderen Bauten wurden frei stehendes Strebewerk, Schalen, Faltwerke, also ganz unterschiedliche Tragwerkssorten, zu den konstituierenden Elementen der Bauten, zu den „Hinguckern“. Bei St. Albert in Saarbrücken, 1951-53, springen außen  liegende Schwibbögen eine zentrale, aber azentrisch sitzende Glasrotunde an.

Im Alterswerk gibt es eine ganze Gruppe von Hallen und Sälen, die von übereinander gestaffelten, von Masten abgehängten Dachblättern aus Stahl- oder Betontafeln gebildet werden. An diese Entwürfe hat sich lange kein Bauherr gewagt. Erst beim Potsdamer Theater, realisiert nach mehreren Umplanungen, konnte Böhm das Prinzip anwenden. Mit dem Blick auf solche technisch inspirierten Werkgruppen kann man den Irrtum eines amerikanischen Architekturkritikers verstehen, John Burchard, der 1966 in einem Buch über die deutsche Nachkriegsarchitektur die Meinung veröffentlichte, Gottfried Böhm sei mehr Ingenieur als Künstler. Allerdings hielt er Gottfried Böhm auch für einen Bruder von Dominikus, und das war nun definitiv falsch.

Die Beziehung der Kirchenbauer Böhm zu einer reformierten Liturgie ist seit den zwanziger Jahren intensiv. Dominikus Böhm arbeitete damals mit Martin Weber zusammen, der eng mit dem benediktinischen Reformkloster Maria Laach verbunden war. Beide arbeiteten idealtypische Lösungen für Messopferkirchen aus, die 1923 in der einflussreichen Schrift Johannes van Ackens Christozentrische Kirchenkunst veröffentlicht wurden. „Auf jeden Fall“, forderte Böhm der Ältere, „muss der Raum konzentrisch wirken, auch wenn er elliptisch, rechteckig oder kreuzförmig gestaltet ist. Ein Gott, eine (einige) Gemeinde, ein Raum! Ein Gebet“. Einer dieser Idealpläne von Dominikus Böhm und Weber hieß Circumstantes, die Umstehenden. Sogar der doppelte Pfeilerkranz ist aus „umstehenden“ Stützen gebildet, die der Gemeinde ihre Haltung vorgeben. Die Forderung führte zu zentralisierten Grundrissen, in denen die Altarstelle stark betont ist, manchmal durch Lichttürme, die das immaterielle Licht auf den Altar als den Ort Christi schütten sollten. Selbstverständlich und unbestritten war diese Christozentrik nicht. Sie begegnete auch innerhalb der katholischen Kirche anderen Deutungen, die den Altar - theozentrisch - als Schwelle zur anderen Welt verstanden.

Grundrisse, bei denen die Gemeinde sich innerhalb einer kreisförmigen Umfassung dem Altar zuwendet, finden sich auch bei Gottfried Böhm, so in der frühen, schönen Vorortkirche in Hürth-Kalscheuren. Von den sechs Apsiden nimmt die in der Eingangsachse gelegene den Hauptaltar auf. Die Betonpfeiler, 24 an der Zahl, stehen außen, circumstantes auch sie. Es ist eines der viel zu vielen Sakralbauwerke, von denen die Amtskirchen sich unter dem Druck ihrer finanziellen Verhältnisse getrennt haben und deren Schicksal sie dem Verständnis des Nacherwerbers überantworten, mit allen Risiken, die in seinem solchen Schritt liegen. In späteren Grundrissen löste Böhm die Regelgeometrie zugunsten freier Formungen auf. Aber die mehrseitige Fokussierung auf den Altar blieb auch bei den eindrucksvollen Betonkirchen der sechziger Jahre.

Denn Ring und Mitte, das ist eines der großen Themen bei Gottfried Böhm, nicht nur bei sakralen, auch bei anderen, auch bei profanen oder halbprofanen Bauaufgaben. Sein berühmtes Rathaus in Bensberg umschließt als Bürgerburg die Mitte eines Platzes, in den der phantastische Treppenturm vortritt. Sein Kinder- und Jugenddorf in Refrath unterhalb von Bensberg bildet einen Ring, zu dem sich die Kinderhäuser wie in freiem Entschluss, unregelmäßig gruppiert, zusammenfinden. Sie umschließen einen zentralen Anger, dessen Zentrum eine Kapelle einnimmt. Sie wiederum hat in der Altarinsel ihre, wenn auch nicht geometrisch ausgezirkelte Mitte. In diesem Prinzip der mehrfachen Raumschalen, die sich schützend um einen Innenkern legen, bildet sich der Wunsch nach einer mit sich geeinten Gemeinschaft ab, in einer - wenn man so will - konservativen, konservierenden Gesellschaftsutopie.

Solche Deutungen knüpfen sich auch an ein anderes Motiv, das Böhm im profanen Bauen seit den sechziger Jahren einsetzt, die Passage. Böhm war längst nicht der einzige, der zu diesem Mittelding zwischen Exterieur und Interieur griff. Die Passage, die überdachte, also witterungsunabhängige innerstädtische Bazarstraße, war eine Bauform, die im 19. Jahrhundert ihre erste Blütezeit erlebt hatte. In seinem Klassiker über dieses Genre hat Johann Friedrich Geist über dreihundert solcher Bauten aus dem 19. und frühen 20.Jahrhundert nachgewiesen. Geists Buch erschien in der ersten Auflage 1969 und hat vielen heutigen Architekten diese Baugattung nahegebracht. Bei Böhm finden sich zahlreiche solcher Binnenstraßen, in der klassischen Ausprägung als städtebauliche Verknüpfung durch einen Häuserblock hindurch wie in Hannover, Dudweiler, Köln. Er nahm sie auch in Einzelbauten auf, in Hotel, Rathaus, Bibliothek, Verwaltungsgebäude, Museum und sogar Amtsgericht. Dort begleiten jeweils parallele, mehrgeschossige Flügel eine höhere Innenhalle. Der Bautypus der dreischiffigen Basilika und der Bautypus der Passage verbinden sich in diesen Querschnitten.

Für einen Baumeister, der in Traditionen lebt, lag die Besinnung auf solche von der Geschichte ausgebildete Formen nahe. Was die Geschichte schon erfunden hat, muss nicht wieder erfunden werden. Darüber hinaus übte die Passage einen anderen Reiz aus. Der gebaute Weg, der durch die Tiefe der Grundstücke führt, erlaubt kompakte Urbanität. Die gläsernen Höhlen der Passagen gewähren Schutz unterm gemeinsamen Dach, und sie verknüpfen zugleich - abseits vom existierenden Straßennetz und zusätzlich zu ihm - Orte der Stadt untereinander. Umgekehrt gesagt: Sie setzen die Stadt ins einzelne Gebäude fort. An der Symbiose von Einzelbauwerk und Stadt war Böhm immer gelegen. Wir sind inzwischen die überdachten Einkaufszentren allerorten so sehr gewöhnt, dass wir die erlösende Wirkung, die von diesem Bautypus in seinen anspruchsvollen Erstfassungen damals ausging, kaum noch nachvollziehen können.

Dass ein Haus wie eine kleine Stadt aufzufassen sei und eine Stadt wie ein großes Haus, ist ein Allgemeinplatz der Architekturtheorie seit der Antike. Aber deswegen ist der Satz ja nicht weniger nützlich. Es hängt mit unserer modernen Skepsis und zeitgenössischen Originalitätssucht zusammen, dass wir alten Weisheiten misstrauen. Böhm hat in den fünfziger Jahren Kirchenkomplexe gebaut, deren liturgische Orte und kirchliche Nebenbauten er in einem ausgegrenzten Bezirk, einem Temenos oder einer Karawanserei, vereinte, kleinen Siedlungen hinter ihrer Umfriedung. In der phantastischsten Kirche, die je von seinem Zeichenbrett kam, der irritierend-großartigen Wallfahrtskirche in Neviges, fließt der Außenraum des Pilgerweges in den Kirchenraum hinein. Der Saal der Hauptkirche mit seinen Nebenkapellen und Nebenhöhlen, der siebentausend Menschen aufnehmen kann, wirkt in seinem vielfach gefalteten Betonmassiv wie ein sakralisierter städtischer Marktplatz. Diesen Eindruck unterstreichen Details wie die hohen Straßenlaternen.

Im Gefolge des Zweiten Vatikanums, des römischen Konzils von 1962-65, aber auch der unruhigen endsechziger Jahre, büßten die triumphalen Kirchenbauten an gesellschaftlicher, auch an innerkirchlicher Akzeptanz ein. Sozial orientierte Gemeindearbeit, die flexiblere Gehäuse verlangte, trat in den Vordergrund. Bei den seltener werdenden Neuprojekten reagierte Böhm nun mit Baugruppen, die sich aus kleinen Einheiten zusammenfügen wie ein Dorf oder eine kleine Stadt aus einzelnen Häusern. Aufträge wie die Wallfahrtskirche in Wigratzbad im Allgäu oder das ökumenische Zentrum in Essen-Kettwig, beide in den späteren siebziger Jahren entstanden, stellen so etwas wie gebaute Gemeindearbeit dar: Vervielfältigung von Typenelementen, Überdachung offener Freiräume für Spiel und Feste, sparsamer gesetzte Akzente wie höheres Dachzelt auf dem Altarbereich. Ein größerer Grad an innerer und äußerer Flexibilität war jetzt verlangt, für etwaige Nutzungsänderungen, Erweiterungen oder auch Reduktionen der Baumasse. Die großen Ortbeton-Solitäre wichen elastischeren Bausystemen.

Von den Motiven sind wir unmerklich zu Haltungen übergegangen. Das eine lässt sich ja auch nicht vom anderen trennen. Die Formen der Raumeindeckung oder die Planfigur von Ring und Mitte oder die städtebaulich motivierte Agglomeration, das sind auch die Mittel einer Wahl, die aus Grundeinstellungen und aus tiefsitzenden Überzeugungen getroffen wird. Dass historisch erprobte Bautypologien wie der Zentralbau, die Basilika, das Zelt, der Rundturm oder eben auch die Passage für Böhm weiter verwendbare, wandlungsfähige, variierbare Vorgaben waren, spricht für Böhms Verhältnis zur Geschichte, das sich von dem vieler seiner Zeitgenossen unterscheidet.

Gottfried Böhm hat sich oft mit historischem Bestand auseinandergesetzt. Er hat Burgen restauriert und ausgebaut, inmitten alter Städte  Neues in ehrwürdiger Nachbarschaft errichtet, einem ursprünglich barocken Schloss in Saarbrücken einen modernen Zentralpavillon eingepflanzt. Beinahe wäre in Saarbrücken stattdessen das barocke Schloss rekonstruiert worden, das vor zweihundert Jahren, während der Französischen Revolution, niedergebrannt worden war.

Für den Umgang mit geschichtlicher Bausubstanz hatte sich in der Moderne dort, wo sie sich geschichtsbewusst verhielt, ein Comment herausgebildet, für den in Italien Namen wie Giancarlo di Carlo oder Carlo Scarpa, in Deutschland der des Eichstätter Diözesanbaumeisters Karljosef Schattner stehen. Wichtig war diesen Fachkollegen die Zäsur, der deutliche Schnitt zwischen Alt und Neu, die Fuge. Das Vorhandene und das Neu Hinzugefügte sollten präzise voneinander unterscheidbar sein. War das eine schwer, wurde das andere leicht. Was das eine geschlossen, blieb das andere durchsichtig. Der jüngere Eingriff wurde als revidierbare, im spezifischen Gewicht leichtere, fast immer durch Materialwechsel gekennzeichnete Zutat charakterisiert. Was hier praktiziert wurde, war so etwas wie die Kunst der Fuge.

Dem Architekten Gottfried Böhm lag nicht an der Kunst der Fuge, sondern an der Kunst des Zusammenhalts. An einem Bau wie dem Rathaus in Bensberg fällt es schwer zu sagen, bis wohin die alte Substanz der Stadtburg erhalten blieb, wo sie wiederhergestellt und wo sie auf eigene Rechnung weitergeführt wurde. Irgendwo steht am Ende unverkennbar orginaler Böhm. Aber wo das eine ins andere übergeht, ist schwer zu sagen. Wichtiger als die Unterscheidung war der Zusammenhang. Böhm ist kein Analytiker, er sucht die Synthese. Er hat so viel Selbstgefühl zu sagen: So, wie es jetzt geworden ist, soll das Neue gemeinsam mit dem Alten in die Zukunft überdauern. Auch das Zeitgenössische ist geschichtsfähig und hat ein Bleiberecht, indem es mit dem Historischen ein einheitliches und überzeugendes Ensemble bildet. Wenn ich es richtig sehe, findet diese Strategie, auf Einheitlichkeit und Synthese zu setzen statt auf sezierende Analyse, heute mehr Freunde als damals, als Böhm sie schon praktizierte.

Böhm-Bauten besitzen eine kräftige, physische Präsenz. Das gilt übrigens für alle drei Generationen der Böhms. Dieser Eindruck hängt mit der Körperlichkeit, der Materialität und auch mit der Art und Weise zusammen, wie diese Bauten auf dem Boden aufsitzen. Selten berühren sie mit schmalen, von Luftraum umspülten Stützen den Grund. Zum spezifischen Gewicht trägt entscheidend die tastbare Struktur ihrer Oberflächen bei. Beton wird gern schalungsrauh belassen oder handwerklich bearbeitet. Oft sind ihm Zuschlagstoffe beigegeben, die ihm die Körnigkeit und Farbigkeit von Naturstein verleihen. Ziegel ist im Büro Böhm zu allen Zeiten mit Vorliebe verwendet worden, sowohl wegen seiner kleinmaßstäblichen Textur wie wegen seiner taktilen Eigenschaften. Die Suche nach der Ziegelei, die den Stein oder Dachziegel mit dem richtigen Farbspiel herstellt, wird in diesem Team ernst genommen. Sie ist im übrigen immer schwieriger geworden.

Auch bei vorgefertigten Betontafeln verzichtet Böhm nicht auf reiches Wandrelief. Die Fassade für das Stuttgarter Verwaltungsgebäude des Betonherstellers Züblin - auch ein Passagenbau mit einer hohen mittleren Glashalle - bietet geradezu eine Musterkarte dessen, was auch bei modernen industriellen Verfahren möglich ist unterschiedliche Tönung der vor- und zurücktretenden Teile durch Zusatz von Eisenoxyd-Pigmenten, wulstartige Verstärkung dort, wo Teile aneinanderstoßen und ausbrechen könnten, abgeschrägte Brüstungsplatten über den Fenstern, damit das Regenwasser besser abtropfen kann. Nichts wirkt hier leicht, transitorisch, revozierbar. Dieser Architekt scheint es mit der Meinung Artur Schopenhauers zu halten, die Werke der Baukunst müssten Schwerkraft und ihre Bearbeitung sinnfällig machen; das sei das eigentliche Thema aller Architektur.

Böhms Bauten sind unübersehbar, gewichtig, fordern Aufmerksamkeit, ganz gleich, wie groß oder klein sie sind. Firmitas, Standfestigkeit, eine der drei Vitruvschen Tugenden, wird auch optisch respektiert. Wo diese Bauten ihren Platz gefunden haben, erwecken sie den Anschein, als hätten sie es auf unabsehbare Dauer getan. Selbst bei einem Gebäude, das von allen Böhmschen Bauten der zeitgenössischen Katastrophenästhetik namens Dekonstruktivismus am nächsten kommt, den WDR-Arkaden in Köln, wirkt der Bau nicht, als stünde er vor dem Kollaps. Allenfalls drohen die kräftigen Arme der rosagrauen Pfeiler ein paar der gegeneinander verdrehten Glasschachteln über dem Haupteingang zu verlieren, wie ein Kellner, der allzu viele Teller auf einmal zu servieren hat. Die Stabilität des Ganzen gerät damit nicht in Gefahr, auch fürs Betrachterauge nicht.

Es gibt kein Böhmsches Gebäude, das auf kühle Distanziertheit angelegt wäre. Das gilt sogar, wenn es wie die Ulmer Stadtbibliothek - bei Böhm eine andere Seltenheit - eine platonische Idealform angenommen hat, in diesem Fall die einer Pyramide. Doch die übereinander auskragenden Geschosse ihres Sockels vermitteln anschaulich den Eindruck gestapelter Lasten und der Sympathie für die benachbarten Altstadtbauten, so dass für Emotion auch hier gesorgt ist. Auf der Temperaturskala des Gefühls sind Bauwerke Böhms in der warmen Zone angesiedelt. Böhmsche Architektur beansprucht alle Sinne. Die Tragglieder, die Flächen und ihre Details wollen erfühlt, die Räume und Raumfolgen mit den Sinnesorganen für Gravitation, Motorik und Temperatur erfasst werden. Körpernahen Details wie Eingangszonen, Stufen, Griffen und Handläufen wird besondere Sorgfalt zuteil.

Mit dem modellierbaren Beton hat Gottfried Böhm lustvoll gearbeitet, solange die komplizierten Schalungsarbeiten noch bezahlbar waren; seit den späten sechziger Jahren sind sie es nicht mehr. Wo Böhm stattdessen mit Stahl umgeht, tut er es offensichtlich nicht mit dem Gedanken an eine spätere Demontage und Weiterverwendung dieses Materials. Dazu sind auch diese Gebäude viel zu sehr als raumverdrängende, raumhaltige und raumbildende plastische Gebilde aufgefasst, reich in Detail wie Silhouette. Auch wo Böhm große Räume überdeckt oder überwölbt, auch wo er viel Glas verwendet und Transparenz erzeugt, stellt sich der Eindruck bergender Gehäuse ein.

Böhm, der Wortkarge und scheinbar nach Innen Gekehrte, geht gern seiner Vorliebe fürs Schmückende, Festliche, Reiche nach. An Kunst, Deckengemälden, Glasbildern, Skulpturen, Brunnen, ja auch - horribile dictu - Ornamentik gibt es eher zu viel als zu wenig. Überfluss ist ihm lieber als Askese. In diesem Punkt ist seine Architektur den frugalen, manchmal heroisch-monumentalen Bauten unähnlich, die sein Vater seit den späteren zwanziger Jahren entworfen hat. Manche Bauteile sind bei Gottfried Böhm ihrerseits Träger von Kunstwerken. Das Gerücht besagt, in manchen Bauphasen sei er tagelang nicht erreichbar gewesen, weil er auf dem Gerüst gelegen und Deckenbilder höchstselbst gemalt habe. Das Handy war da wohl noch nicht erfunden; ich zweifle, ob er auch heute eins in der Tasche hat. Da nur radikale Vandalen Kunstwerke zerstören, dient der Kunst- und Ausdruckscharakter seiner Bauten zugleich der Sicherung ihres Bestandes gegen den Vandalismus - der in Zeiten, wo Diözesen rote Listen für die Abstoßung von Kirchengebäuden aufstellen, nicht nur von Sprayern und Sprühdosen droht.

Wer so viel für die Kirche gebaut hat wie Gottfried Böhm, kann keine Aversion gegen große Institutionen hegen (wie die katholische Kirche eine ist). Die Überzeugung von der Notwendigkeit und Würde von Institutionen spricht aus der Arbeit der Böhms. Die Anthropologen haben den Menschen als ein Mängelwesen definiert. Seine Sonderstellung in der Schöpfung beruht auf dem Mangel sicherer Instinkte, den er durch Werkzeuge, Kulturtechniken und überindividuelle Einrichtungen kompensiert. „Eine jeweils kulturell geltende, einen Sinnzusammenhang bildende, durch Recht und Sitte öffentlich garantierte Ordnungsgestalt, in der sich das Leben der Menschen darbietet,“ so definiert das Wörterbuch der Soziologie den Begriff Institution.

Im Werk Gottfried Böhms gibt es viele Gebäude, die er für Institutionen entworfen hat, privatrechtliche wie staatliche, und kirchliche ohnehin: Häuser für den Gottesdienst, Rathäuser, Parlamentsgebäude, Gerichtsbauten, Kulturbauten. Das Pathos, das diesen Entwürfen auch bei kleineren Objekten eigen ist, bringt so leicht kein anderes Architektenatelier auf. Es hängt mit diesem Respekt für die Organisationen zusammen, mit deren Hilfe die Menschen ihr Zusammenleben regeln. Es ist, als wolle die Architektur Böhms sagen: Macht ist nichts Böses, wenn sie verantwortete Macht bleibt. Als solche hat sie Recht auf Ausdruck. Von „formgebender, integrierender Kraft“ sprechen die Soziologen und von den „stabilen Handlungsmustern“ der Institutionen. Vor allem im späteren Werk finden sich solche „Ordnungsgestalten“, Palazzi mit Haupt- und Nebenachsen, symmetrische Anlagen, grandiose Treppenhäuser. Bewimpelte Türme und Kegelhelme setzen manchmal humoristische Gegenakzente, die der Strenge des Pathos entgegenwirken, ohne den autoritativen Auftritt in Frage zu stellen.  

Nichts kennzeichnet diesen Respekt vor dem Institutionellen besser als das erwähnte Planungsgutachten für den Sitz des Deutschen Bundestags in Berlin, mit dem Gottfried Böhm 1988, also schon vor der deutschen Wiedervereinigung, vom Bund beauftragt worden war. Das 1894 eingeweihte Reichstagsgebäude hatte Paul Wallot für das Parlament des wilhelminischen Kaiserreichs errichtet. Im Zweiten Weltkrieg war es schwer zerstört und in den frühen sechziger Jahren durch Paul Baumgarten in vereinfachter und modernisierter Form wiederhergestellt worden, ohne die frühere Vierkantkuppel. Viele wollten den Bau aufgeben, zumindest nach 1990 nicht mehr für die Volksvertretung nutzen - Böhm dagegen wollte es sehr wohl.

In seinem unverwirklichten Projekt für den Umbau griff er wie selbstverständlich auf die Kuppel als Würdeform zurück. Er fasste sie aber auf seine Weise auf. Wallot hatte die Kuppel lediglich mit dem Blick auf die städtebauliche Außenwirkung hin entworfen. Innen hatte sie keine Funktion. Böhm dagegen räumte sie dem Parlament ein, das in ihr hoch über der Erde tagen sollte, dem Himmel ein Stückchen näher als die anderen Sterblichen, ein „Hohes Haus“ im wörtlichen Sinn. Es wäre von einer Kuppel überwölbt worden, die in der letzten Entwurfsfassung aus beweglichen Dachschalen bestehen sollte. In Böhms Augen kam der Vertretung des Volkes dieser privilegierte Ort zu und kein anderer. Was und wer verdiente Hervorhebung, wenn nicht die vornehmste Instanz der Demokratie, ihr Parlament? Auf dem Dach hätte sich eine begehbare und begrünte Landschaft mit Höfen, Terrassen und Pavillons entfalten können, offen für das promenierende Volk, das sich auf derselben Ebene, der Dachfläche, wie seine Vertretung bewegt hätte.

Im Wettbewerb, der dem Planungsgutachten folgte, konnten Böhms Vorschläge sich nicht durchsetzen. Der britische Stararchitekt Norman Foster, der Wettbewerbsgewinner, musste sich im Lauf der Planung ebenfalls zu einer Kuppel bequemen. Populär, wie sie bei Berlin-Besuchern geworden ist, dient sie ausschließlich als Aussichtspunkt, zu dem man auf gegenläufig versetzten Spiralrampen empor- und hinabwandelt - schön, aber ein bisschen sinnlos. Das Parlament hingegen sitzt weit darunter, in der Grube sozusagen, wo der Plenarsaal dank eines verspiegelten Riesenschnorchels mit reflektiertem Tageslicht und Frischluft versorgt wird. Für mich ist keine Frage, welches die glücklichere Lösung gewesen wäre.

Die Freude am Reichen, Detaillierten, am Überschuss der Formkraft, die Lust am Spiel. Die urbane Auffassung auch des Einzelbaus. Die Standhaftigkeit der gewichtigen Konstrukte, nach außen verdeutlicht. Das Gefühl für Kontinuität. Der Wunsch, Geschichte nicht als etwas Fremdes zu betrachten, das man nur im distanzierten Zitat aufgreift, sondern es als Teil des Ganzen zu verstehen, an dem man selbst arbeitet. Der Respekt vor den Einrichtungen, mit denen die Menschheit ihr Zusammenleben regelt. Ich denke, alle diese Besonderheiten in der Arbeit Gottfried Böhms hängen auch  mit der Erfahrung jener Institution zusammen, die ihm besonders nahe steht, der eigenen Familie. „Eine Institution mit übersehbarem Kleingruppenhintergrund“, beschreiben die Soziologen, um sie noch einmal zu zitieren, die Familie. In unserer globalisierten Welt, in der alles mobil und alles unterwegs ist, alles sich in Jahresabständen ändert, Erkenntnisse, Techniken, mediale Praktiken, Handschriften, da ist dieser „übersehbare Kleingruppenhintergrund“ etwas, das zur stabilisierenden Eigenart des Böhmschen Oeuvres entscheidend beigetragen hat.

 

Wolfgang Pehnt

Vortrag im Historischen Museum Saar anlässlich der Werkbund-Ausstellung "Gottfried Böhm - Bauten und Projekte im Saarland"

Saarbrücken, 25. März 2010

 

 

Bibliografie-Auswahl

  • Svetlozar Raev (Hg.): Gottfried Böhm: Bauten und Projekte 1950-1980. Köln 1982
  • Ulrich Weisner (Hg.): Zusammenhänge. Der Architekt Gottfried Böhm. Bielefeld 1984
  • Svetlozar Raev (Hg.): Gottfried Böhm Vorträge Bauten Projekte. Stuttgart, Zürich 1988
  • Wolfgang Pehnt: Gottfried Böhm. Basel, Berlin, Boston, 1999
  • Wolfgang Voigt (Hg.): Gottfried Böhm aus der Sammlung des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt am Main. Berlin 2006

 

Redaktion: Claudia Maas


COPYRIGHT ©

Institut für aktuelle Kunst im
Saarland an der Hochschule
der Bildenden Künste Saar

Choisyring 10
66740 Saarlouis
49 (0) 6831 - 460 530