Laboratorium - Kunsthöfe im Ravelin I. Foto: Nina Jäger

Laboratorium - Kunsthöfe im Ravelin I 

"Plan der Festung Saarlouis mit Beziehung auf die an derselben vorzunehmenden Reparaturen und Veränderungen" Plan aus dem Jahr 1820, nach Übernahme der Festung durch Preußen, dunkelrotes Rechteck oben: Laboratorium im Ravelin I. Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

"Plan der Festung Saarlouis mit Beziehung auf die an derselben vorzunehmenden Reparaturen und Veränderungen" Plan aus dem Jahr 1820, nach Übernahme der Festung durch Preußen, dunkelrotes Rechteck oben: Laboratorium im Ravelin I. Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin 

"Zeichnung über die Vergrößerung der Arbeitsräume des Friedenslaboratoriums im Ravelin I zu Saarlouis" von Thelemanns, Hauptmann und Platz-Ingenieur, August 1872 Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

"Zeichnung über die Vergrößerung der Arbeitsräume des Friedenslaboratoriums im Ravelin I zu Saarlouis" von Thelemanns, Hauptmann und Platz-Ingenieur, August 1872 Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin 

Paul Schneider, Stufenstein mit weißer Linie II, 1996, Gebhardscher Granit, 50 x 299 x 57 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Paul Schneider, Stufenstein mit weißer Linie II, 1996, Gebhardscher Granit, 50 x 299 x 57 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Ben Muthofer, Lichtstele, 2010, pulverbeschichteter Edelstahl, LED-Licht , 250 x 23 x 23 cm, 12 Exemplare, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Ben Muthofer, Lichtstele, 2010, pulverbeschichteter Edelstahl, LED-Licht , 250 x 23 x 23 cm, 12 Exemplare, Dauerleihgabe des Künstlers 

Horst Linn, Vor-stand, 2009, Aluminium, Acryl, rote Version, 123 x 7 x 67 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Horst Linn, Vor-stand, 2009, Aluminium, Acryl, rote Version, 123 x 7 x 67 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Ewerdt Hilgemann, Triple , 2008, Edelstahl, 180 x 60 x 60 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Ewerdt Hilgemann, Triple , 2008, Edelstahl, 180 x 60 x 60 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Sigurd Rompza, contra, 1986/88-7, 1/3, Aluminium, Acrylfarbe und Lack, 82 x 67 x 72 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Sigurd Rompza, contra, 1986/88-7, 1/3, Aluminium, Acrylfarbe und Lack, 82 x 67 x 72 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Eugen Gomringer, das schwarze geheimnis, 1953/2010, Lackfarbe, 115 x 115 cm, Stiftung des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Eugen Gomringer, das schwarze geheimnis, 1953/2010, Lackfarbe, 115 x 115 cm, Stiftung des Künstlers 

Leo Kornbrust, Schriftsäule, Text von Felicitas Frischmuth, 1984, Granit, 296 x 12 x 12 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Leo Kornbrust, Schriftsäule, Text von Felicitas Frischmuth, 1984, Granit, 296 x 12 x 12 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Leo Kornbrust, Schriftsäule, Text von Felicitas Frischmuth, 1984, Granit, 296 x 12 x 12 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Leo Kornbrust, Schriftsäule, Text von Felicitas Frischmuth, 1984, Granit, 296 x 12 x 12 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Jo Enzweiler, ohne Titel, 2010, Granit, 40 x 18 x 18 cm, Dauerleihgabe des Künstlers

Jo Enzweiler, ohne Titel, 2010, Granit, 40 x 18 x 18 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Karl Prantl, ohne Titel, Schwarzer Granit, 2005, 12 x 33 x 10 cm, Dauerleihgabe Monika Kellermann. Foto: Nina Jäger

Karl Prantl, ohne Titel, Schwarzer Granit, 2005, 12 x 33 x 10 cm, Dauerleihgabe Monika Kellermann 

Friedhelm Tschentscher, ohne Titel (GR1), Granit, 35 x 23 x 28 cm, Dauerleihgabe von Monika Kellermann. Foto: Nina Jäger

Friedhelm Tschentscher, ohne Titel (GR1), Granit, 35 x 23 x 28 cm, Dauerleihgabe von Monika Kellermann 

Thomas Wojciechowicz, ohne Titel, vierteilig, Holz, geflämmt, 110 x 58 x 58 cm, Dauerleihgabe der Saarländischen Landesregierung. Foto: Nina Jäger

Thomas Wojciechowicz, ohne Titel, vierteilig, Holz, geflämmt, 110 x 58 x 58 cm, Dauerleihgabe der Saarländischen Landesregierung 

Wolfgang Nestler, ohne Titel, 2006, Edelstahl getrieben, Durchmesser 68 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Wolfgang Nestler, ohne Titel, 2006, Edelstahl getrieben, Durchmesser 68 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Wolfgang Nestler, ohne Titel, 2010, verzinktes Stahlblech, gekantet und genietet, 100 x 70 cm, Dauerleihgabe des Künstlers. Foto: Nina Jäger

Wolfgang Nestler, ohne Titel, 2010, verzinktes Stahlblech, gekantet und genietet, 100 x 70 cm, Dauerleihgabe des Künstlers 

Nina Jäger, Außen: Raum (Kafka, Blanchot, Joubert), 2010, Bleistift und Acryllack, 120 x 80 cm, Stiftung der Künstlerin. Foto: Nina Jäger

Nina Jäger, Außen: Raum (Kafka, Blanchot, Joubert), 2010, Bleistift und Acryllack, 120 x 80 cm, Stiftung der Künstlerin 

Saarlouis, Institut für aktuelle Kunst im Saarland, Kunsthöfe im Ravelin I

Letzte Änderung: 19/07/2012

Das Laboratorium im Ravelin I, Saarlouis

Es war ein glücklicher Augenblick, als das Angebot der Stadt Saarlouis, das denkmalgeschützte Gebäude des Laboratoriums einer kulturellen Einrichtung zur Verfügung zu stellen, auf die Nachfrage des Instituts für aktuelle Kunst im Saarland nach geeigneten Räumlichkeiten traf. So kam es, dass nunmehr auf dem Gelände des ehemaligen Ravelin I Werke aktueller bildenden Kunst im Dialog mit einem Bauwerk stehen, das aus jener Zeit stammt, als Saarlouis eine Festungsstadt im deutsch-französischen Grenzland an der Saar war.

Das Laboratorium stammt aus der preußischen Epoche der ursprünglich französischen Festung Saarlouis. Diese wurde 1680 von König Ludwig XIV. zur Sicherung französischer Gebietserweiterungen im Norden und Osten des Landes gegründet und war Teil eines Verteidigungsgürtels, der von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze reichte. Den Plan für die Neugründung verantwortete der Festungsbaumeister Sébastien Le Prestre, Marquis de Vauban. Es wurden die natürlichen Gegebenheiten der an dieser Stelle weiten, flachen und unbebauten Talaue der Saar dazu genutzt, eine geradezu idealtypische, regelmäßige Überschwemmungsfestung in Form eines Sechsecks zu konstruieren. Die schachbrettartig angelegte Stadt wurde von einem Festungsstern umfangen, der sich aus den sechs geraden Abschnitten (Kurtinen) des Hauptwalls und den an seinen sechs Ecken spitz ausspringenden Bollwerken (Bastionen) zusammensetzte. Diese Hauptwallanlage war von dem breiten Festungsgraben umgeben, in dem weitere schützende Hindernisse lagen. Dazu gehörten sogenannte Grabenscheren (Tenaillen), die mit Schützenplattformen und Brustwehren bestückt waren und der Deckung der Kurtinen dienten. Die schmalen Tenaillen wurden ihrerseits von flächigen Halbmonden (Ravelins) gedeckt, im Grundriss dreieckigen, vollständig von Gräben umgebenen, inselartigen Werken, die Leonardo da Vinci als "Schilde der Festung" bezeichnete.

Als nach den Befreiungskriegen 1815 mit der Saarregion auch die Festung Saarlouis an Preußen fiel, wurden Teile der Festungsanlagen modernisiert und aus-- -gebaut. Zu den unter dem preußischen Ingenieurhauptmann und Ingenieur des Platzes Johann Pientka, gen. Haak begonnenen Neuerungen gehörte, dass man auf allen Ravelins niedrige, massive Wehrbauten (Reduits) errichtete, die als selbständige, schusssichere und sturmfreie Gewölbebauten ausgeführt und für weitere, unterschiedliche Funktionen hergerichtet wurden. Das Reduit, das 1821 auf dem Ravelin I gebaut wurde, nahm das Laboratorium auf, in dem Feuerwerker Zünder, Munition, Signalfeuer und besondere Feuerwerkskörper für die Artillerie zubereiteten. Steinerne, mit Schießlöchern für Gewehre versehene Mauern schlossen sich links und rechts an der zur Stadt gelegenen Stirnseite des Gebäudes an und schufen zwischen Laboratoriumsbau und Hauptgraben einen gedeckten Rückzugsraum.

Die Eroberung und Eingliederung von Elsaß-Lothringen in das Deutsche Kaiserreich 1871 nahmen der Stadt Saarlouis ihre Funktion als Grenzfestung. In der Folge wurde die Festung aufgegeben, die Wälle abgetragen, die Gräben zugeschüttet und viele der Wehrbauten niedergelegt. Von den Bauwerken aus der frühen preußischen Zeit sind nur wenige erhalten geblieben. -Das Laboratorium auf dem nun ehemaligen Reduit I ist eines davon.

Zu dem bestehen gebliebenen gedeckten Rückzugsraum, dem heutigen Vorplatz, kamen bei der Sanierung des Gewölbebaus und seiner Herrichtung für die Zwecke des Instituts für aktuelle Kunst zwei Höfe hinzu. Sie liegen an den Längsseiten des Gebäudes und nutzen die alten preußischen Schießschartenmauern als Teil ihrer Umfriedung.
Auf diesen Freiflächen wurden die "Kunsthöfe im Ravelin I" im Mai 2010 eröffnet.

Oranna Dimmig


Die Kunsthöfe im Ravelin I, Saarlouis


Das Ravelin I, der Ort des Instituts für aktuelle Kunst im ehemaligen Laboratorium, liegt an einer verkehrsreichen Straße. Deren lärmender Betriebsamkeit setzt das Laboratorium mit der Skulptur von Paul Schneider auf dem Vorplatz einen Akzent der Stille entgegen, der, einmal wahrgenommen, starke Intensität entfaltet. Die Skulptur vermag den Besucher in eine meditative Betrachtung hineinzuziehen. In J. R. Tolkiens "Herr der Ringe" trägt ein verschlossenes Tor die Inschrift "Sprich Freund". Stark abstrahiert ließe sich der Satz so verstehen: Das Tor öffnet sich, der Zugang ist dann offen, wenn man sich dem Tor und dem Dahinterliegenden in positiver Haltung nähert, bereit ist, sich auf das einzulassen, was sich hinter dem Tor findet, bereit und offen ist, wahrzunehmen, wahrnehmen zu wollen.

 


Paul Schneider, Stufenstein mit weißer Linie II, 1996

Gebhardscher Granit, 50 x 299 x 57 cm, Dauerleihgabe des Künstlers


Paul Schneider lässt den Stein in seiner Wesenhaftigkeit und Materialität sprechen, der in seiner aufsteigenden Keilform mit schräg ansteigender Front zur Näherung lockt. Zudem ist die Vorderseite mit einer engen Folge schmaler Stufen skulptiert – zum virtuellen Begehen auffordernd. Gleichzeitig verkörpert die Stufenfolge ein Weltprinzip: Steigen und Fallen, Werden und Vergehen. Ebenso im Granit wesensmäßig enthalten wie die Stufen ist eine weiße Mineralader, welche die Stufen diagonal schneidet und akzentuiert: Eine Lebensader durchzieht ewig die Stufen, ungebrochen und unbeeindruckt von den Weltläuften – zeitlos gleich.Es ließe sich an Rainer Maria Rilkes Gedicht "Pont du Carrousel" denken: "Der blinde Mann, der auf der Brücke steht, grau wie ein Markstein namenloser Reiche, er ist vielleicht das Ding, das immer gleiche, um das von fern die Sternenstunde geht, und der Gestirne stiller Mittelpunkt. Denn alles um ihn irrt und rinnt und prunkt. Er ist der unbewegliche Gerechte, in viele wirre Wege hingestellt; der dunkle Eingang in die Unterwelt bei einem oberflächlichen Geschlechte." Oder an Hermann Hesse, der in seinem Gedicht "Stufen" schreibt: "Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen, der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten!"

 


Ben Muthofer, Lichtstele, 2010

pulverbeschichteter Edelstahl, LED-Licht , 250 x 23 x 23 cm, 12 Exemplare, Dauerleihgabe des Künstlers

 

Beinahe noch mehr setzt Ben Muthofers Edelstahlplastik "Lichtstele" im linken Innenhof des Laboratorium voraus, wahrnehmen zu wollen. Weiß gefasst, setzt die Stele zunächst einen scheinbar in sich geschlossenen Pfahl als Ausrufezeichen; Aufmerksamkeit auf sich ziehend und wieder entlassend; den aber fesselnd, der eingelassen zu werden sucht. Zudem verleihen die weiße Farbe und die integrierte indirekte Beleuchtung – aus dem Innenraum, den die gefalteten Edelstahlplatten bilden – der Stele Immaterialität. Diese verschleiert die Körperhaftigkeit und stellt die Bereitschaft des Betrachters zu längerer und sorgfältiger Betrachtung noch weiter auf die Probe. Nähert man sich, entdeckt man die scheinbar geschlossene, hermetische Form als einen vielfältigen Komplex von interagierenden Flächen, die den zunächst so erkannten Raumkörper als ein System von Flächen, die reale und imaginäre Räumlichkeit und Körperlichkeit mit Licht- und Schattenzonen in erstaunlicher Vielfalt generieren.

 



Horst Linn, Vor-stand, 2009

Aluminium, Acryl, rote Version, 123 x 7 x 67 cm, Dauerleihgabe des Künstlers


Beim Betreten des linksseitigen Innenhofs des Laboratorium setzt eine weitere Metallplastik ein Ausrufezeichen: Horst Linns Arbeit "Vor-stand". Ein fast quadratischer Rahmen aus rot lackiertem Aluminiuml ist etwa im Verhältnis 2:1 gefaltet und im rechten Winkel auf die Bruchsteinwand des Laboratoriums gesetzt. Die Plastik scheint aus der Wand zu wachsen, rahmt aber ihrerseits – in Seitenansicht – Teilbereiche der Wandfläche, die sich aus dem Blickwinkel des Vorbeigehenden optisch verändern. Sie bemächtigt sich der (Wand-)flächen, nimmt sie als (Bild-)grund in Dienst, schafft sich damit die Basis, von der aus sie die dritte Dimension erschließt und dabei für sich neu definiert und sinnlich erfahrbar macht. Dabei mischen sich – augenzwinkernd wie der Sinnenmensch Linn selbst – spielerische Elemente in die strengen konstruktiven (Ge-)bilde: Vexierspiele zwischen vorne und hinten, Aufsicht und Seitenansicht, Steigen und Fallen, latente und vorgetäuschte Bewegung. Ein Weiteres stellt sich ein: Unter dem Sonnenlicht werfen die Objekte Schatten auf die Wand, die nun wirklich einen flächigen Reflex der körperhaften Formen auf die Wand zeichnen. Diese, nun wirklichen, Flächen-bilder täuschen ihrerseits wiederum räumliche Weiterungen vor. So ergibt sich ein kleiner "Winkelzug": Beim flüchtigen Lesen des Objekttitels passiert es schnell, das statt "Vor-stand" das Wort "Ver-stand" aufgenommen wird – und der Betrachter darf sich fragen, ob und was er verstanden hat oder zu verstehen glaubt.

 


Ewerdt Hilgemann, Triple , 2008

Edelstahl, 180 x 60 x 60 cm, Dauerleihgabe des Künstlers


Ewerdt Hilgemann forscht in seinen Arbeiten nach materialimmanenten Formen. Sein Werkstoff ist dabei Edelstahl. Stereometrische Edelstahl-Hohlkörper – Kuben und Pyramiden – sind sein Ausgangspunkt, nicht bereits ein Werk oder dessen Vorstufe. Aus den Hohlkörpern saugt der Künstler mittels eines im Objekt sitzenden Stutzens die Luft heraus, der Körper implodiert – nicht geplant oder gesteuert, vielmehr nach eben den material-immanenten, nicht bis ins Detail berechenbaren Eigenschaften. Mit dem Abbruch des Absaugens der Luft aus dem Hohlkörper beendet Hilgemann den Formungsprozess bei einem fast vollständigen Vakuum. Hilgemanns Arbeit ist jedoch keineswegs ein dekonstruierender Vorgang. Er zerstört nicht, sondern verändert und fixiert die Gestalt des Hohlkörpers. Es handelt sich also um einen Erkenntnisprozess über ein stereometrisches Objekt außerhalb des Rasters mathematischer Regeln. Gleichzeitig ist es ein Sichtbarmachen der Formen und damit Eigenschaften, die sein Material hat, und damit ein Sichtbarmachen von Aspekten des Aufbaus der Welt.



Sigurd Rompza, contra, 1986/88-7, 1/3

Aluminium, Acrylfarbe und Lack, 82 x 67 x 72 cm, Dauerleihgabe des Künstlers


Für Sigurd Rompza ist das verwendete Material ebenfalls zweitrangig – -lediglich die "technischen" Eigenschaften sind wichtig; sein Wandobjekt "contra" besteht aus farbig gefasstem Aluminium. Stabilität und Leichtigkeit dieses Werkstoffe erlauben die Montage auf der weißen Stirnwand des linken Innenhofes in einer bestimmten Höhe. Diese Platzierung ermöglicht dem Besucher eine sehr variantenreiche Wahl seines Standortes zur Betrachtung des Objektes und ermöglicht eine Vielzahl von Aspekten, zu denen eine ebenfalls große Anzahl von Schattenwürfen auf der Wand hinzutritt – nicht nur bei Sonneneinstrahlung, sondern auch im wechselnden Licht der Jahreszeiten. Das wechselnde Licht erzeugt nicht nur Weiterungen des Objektes durch dessen Schatten"bild". Die Farbfassung generiert ebenfalls, unter dem Einfluss der Beleuchtung, eine Fülle verschiedener Valeurs, die den Charakter des Objektes als eines polyvalenten "sehstücks" begründen. "bewegung stellt sich ein bei standortveränderung des betrachters, zeigt sich hier aber auch als farbbewegung. gelb flieht, andere farben schleichen, wieder andere rasen." (Sigurd Rompza: Bildanalysen. In: Farbige Wandobjekte. Ludwigshafen 1990, S. 12-20) Die Anzahl der Aspekte potenzieren sich durch die Veränderung der Winkel, in denen die verschiedenen Schenkel des Objektes zueinander und zur Wand stehen, in Multiplikation mit dem Blickwinkel, der sich aus dem Standort (und der Körpergröße) des Betrachters ergibt. Rompza schreibt: "auf sehen hin konzipierte künstlerische objekte erlauben ein produktives sehen, d. h. form zu sehen, farbbewegung zu sehen, licht, schatten, innen als außen und umgekehrt zu sehen. dies sowohl in kombination als auch selektierend." (Sigurd Rompza: Vom Relief zum Wandobjekt. Saarbrücken 1990, S. 29 -31) Zum Wandobjekt "contra" wäre zu sagen: "auch diese arbeiten sind auf sehhandlungen konzpiert." (Sigurd Rompza: "zu meinem künstlerischen standort". Neunkirchen/Saarbrücken 2003.06)

 


Eugen Gomringer, das schwarze geheimnis, 1953/2010

Lackfarbe, 115 x 115 cm, Stiftung des Künstlers


Eugen Gomringer hat für den linken Vorhof des Laboratorium eine Arbeit mit dem Titel "das schwarze geheimnis" (nach einer Vorlage von 1953) geschaffen. Die "Textinstallation" zeigt sehr deutlich die besondere Stellung Gomringers in der Konkreten Kunst; wobei Kunst hier in einem allgemeinen Sinn verwendet wird, über das einengende Adjektiv "Bildende" hinaus. Dabei entstand Gomringers "konkrete Poesie" aus dem Bemühen, Bildstrukturen der Konkreten (Bildenden) Kunst zu versprachlichen. Ausgehend von einem "Spezialfall der Konkreten Kunst", einer bestimmten Komposition entsteht aus der Analyse von deren Aufbauprinzip eine Neufassung dieses Prinzips mit sprachlichen Mitteln, eine "Konstellation" wie es Gomringer nennt. Die nächste Entwicklungsstufe beschreibt er so: "Diese aus der Bildenden Kunst gewonnene Konstellation habe ich später fast immer "anonymisiert", denn es sind Texte, die autonom für sich stehen können." Schließlich schreibt Gomringer Texte, die den umgekehrten Weg gehen: Die Elemente der Sprache sind nicht nur aneinandergereihte Bedeutungsträger, sondern werden, so komponiert, zu einer Konstellation positioniert, dass in dieser Konstellation erst die eigentliche Bedeutung der Sprach-zeiten deutlich wird. Der russische Semiologe Michail M. Bachtin schreibt: "Der Inhalt ist notwendiges konstitutives Moment des ästhetischen Objektes, mit ihm korreliert die künstlerische Form, die außerhalb dieser Korrelation keinerlei Sinn hat." (Michail M. Bachtin: Die Ästhetik des Wortes. Herausgegeben von Rainer Grübel. Frankfurt a. M. 1979, S. 117) Gomringer spielt mit der Materialität der Schrift (d. h. immer auch "der Sprache") und mit dem Bild, das die Schrift herstellt oder das sich mit ihr herstellen oder andeuten lässt. Im Vorhof des Laboratoriums bilden die Wörter "das schwarze geheimnis" sowie "hier" und "ist" auf der Wand eine Konstellation, die ein Quadrat andeutet, deren Deutung aber letztlich vieldeutig und offen bleibt. Ebenso wie das Quadrat ein offenes ist und nur imaginiert wird, ist das schwarze vielleicht das Geheimnis, das, auf der Wand ein Quadrat wahrzunehmen, glauben macht oder…



Leo Kornbrust, Schriftsäule, Text von Felicitas Frischmuth, 1984

Granit, 296 x 12 x 12 cm, Dauerleihgabe des Künstlers


Eine große Entwicklungslinie durchzieht das Werk von Leo Kornbrust: vom Organischen zum Tektonischen, "von der organisch geformten hin zu einer architektonisch gefestigten Form" (Katja Hanus: Werkverzeichnis der Skulpturen 1952-1999. St. Wendel 1999, S. 5). Kornbrust begründet diese Entwicklung u. a. mit den Worten "zu lernen, sich gegen die Natur zu stellen." Diese Aussage ließe sich auch weiter gefasst interpretieren; der Künstler sucht Artefakte zu schaffen, Bilder von dem, was hinter dem augenfälligen Erscheinungsbild steht. Die Entwicklungslinie verläuft keineswegs geradlinig, sie erkundet vielmehr Seitenwege und Abzweigungen. Die Wandlung des Kubus zur Kugel durch Facettierungen aufgrund stereometrischer Operationen steht als Leitmotiv über einer Hauptlinie seines künstlerischen Schaffens. Letztlich entdeckt Kornbrust in der Reduktion auf stereometrische Grundstrukturen in den Makrobereich übersetzte Strukturen des Naturaufbaus im Nanobereich: Kristallgitter, Elementarteilchen. In den Schrift-Skulpturen, die in enger Schaffensgemeinschaft mit seiner Frau, der Lyrikerin Felicias Frischmuth entstanden, verbinden sich die perfekte geometrische Form des Oktogons, einem Sinnbild für Vollkommenheit und Perfektion, im Christentum auch für die Auferstehung, mit der Poesie Frischmuths zu einer festen Einheit. So entspricht auch die Schriftsäule im Ravelin, dem "Modell des Kunstwerks", das Rainer Grübel in seinem Essay "Zur Ästhetik des Wortes bei Mihail M. Bachtin" in einem Diagramm darstellt (Michail M. Bachtin: Die Ästhetik des Wortes. Herausgegeben von Rainer Grübel. Frankfurt a. M. 1979, S. 27): Das sprachliche Material (Lyrik) und das äußere Werk (Säule) bilden das ästhetische Objekt. Sprachliche Konstruktion und Komposition des Artefakts bilden zusammen ein architektonisches Objekt. Sprachliche und kompositionelle Formen münden in die "architektonische Form des Sehens". Sprache ist charakterisiert als abstrakt, bildnerisches Werk als funktional; zusammen sind sie "vollendet".

Abseits rührt sich ein Instinkt / Verschnürungen / Blätter Fensterplatz / wenn einer sagt was hast du für / einen schönen Hut / was hast du für ein schönes Kleid / dann meint er nicht den Hut dann / meint er nicht das Kleid / elfenbein gefroren länglich weit / durch die Türe geht der ganze / Mensch aus dem Fenster / kannst du dich hinauslehnen / schauen / aus dem Fenster kannst du / hinausspringen / Durchsprung Öffnung Aderlaß / Erkenntnis
Die Grenzpfosten sind aus / Kunststoff Grabesstille / grobe Versäumnisse flankieren die / Straße Achtung / überall wo ich jemand gehen sehe / vermute ich Wege / vielleicht ist es dir zu dunkel hier / ins Aus von uns aus / elektrisierte Nylonfäden Ameisen / auf der Bettdecke / Blumen auf dem Kopfkissen ein / Pfau ein Papagei / Parallelstraßen die Tulpen / verbeugen sich ich erkenne / Wind den Kopf vom Bett aus / angehoben an der Bewegung / der Zweige / Die Maus schlupft wasserdicht / unter dem blauen Auge durch / der Karpfen wühlt sich ein wühlt / auf roh symbolische / Umzäunungen licht leicht bauen / aufsitzen sich strecken / oben drüber gehen einfach / auftreten
Ich setze den Fuß ängstlich fest / Tritt unängstlich / in Hinsicht schon auf dem Baum / eine gut verästelte Birke / ein bayerischer Bretterzaun / versinkt im Schnee mitsamt / den Gräbern Friedhöfen Kirchen / Bänken Ausruhstellen / Marterln Hinweisstellen / Trimmpfaden Triumphadern / Geraschel / ich halte an ich bleibe stehen ich / lausche / kein Papier im Kopf keine / Tempotücher in der Manteltasche / ein runder Knopf am Schuh rote / Strümpfe du gehst ruhig / weiter schließt dein Ohr mit dem / Augenlid zu . / deine Wimpern stehen weit heraus / an einigen Stellen / schaut die Erde durch / hinein ist ganz leicht hinein / kommen wir immer wir / strecken unseren Kopf aus der / Mulde heraus wir schweben / du willst nicht verbessern aber du / läßt dich auch nicht / verbessern du schwebst
Was willst du Zuflucht Oase / Lichtnelke / Wir haben einen Zwischenraum / zwischen uns und die Erde / gelegt der Schotter raschelt nicht / erzeuge ich das Geräusch? / Was für eine harte Decke / Leuchtacker Gleisdeich wohin / ich trete vorfühle vortrete austaste / mit ausgebreiteten / Armen hinstürze. / ich will nicht stürzen mich / abdrücken dieser vernagelte / Acker ich hole dich / verrottenes zertretenes / ausgelatschtes Schuhzeug eine / Warntaste Grenztürme Wachhaus / Porzellanfabrik
Wir laufen aus den spitzig kalten / Schatten der Tannen / heraus die Bäume sind Waffen / geworden lange scharfe / überlange ungemein spitze / Dreiecke in der Fläche / Zeichnungen auf dem Spielbrett / richtungsweisend / sie geben den Ton an sie / überschatten das Feld / verdrängen die Sonne dehnen sich / innerhalb von Minuten / aus wir fühlen ihre / rasiermesserscharfen Spitzen / ihre Angriffe am Leib am Körper / am Bauch am Kopf / an der Stirn zuerst so gefährlich / wie Eiszapfen
Leuchtschnee Leuchtkopf die / Sonne stichelt der Schnee / raschelt der Gneishügel / schimmert die Panzer haben / breite Spuren im Acker / hinterlassen
Felicitas Frischmuth



Jo Enzweiler, ohne Titel, 2010

Granit, 40 x 18 x 18 cm, Dauerleihgabe des Künstlers


In Jo Enzweilers Skulptur "ohne Titel" ist die Bedeutung des Material(charakters) nachrangig, aber dennoch nicht ganz ohne Bedeutung. Das Wesen des Granits, die harte, geschlossene Masse, setzt den Schlusspunkt dieses Abschnitts der Werkentwicklung, manifestiert den erreichten Status der Formideen Enzweilers, den derzeitigen Stand oder besser die "konkrete Festigung künstlerischer kreativer Denkvorgänge." (Eugen Gomringer: Die neuen skulpturalen Raumkonzepte. In: Jo Enzweiler – Skulptur, Raum, Architektur. Saarbrücken 2008, S. 20) Dabei scheint die Entwicklung des Enzweilerschen Werkes hyperbolisch zu verlaufen. Die Stempel-Gouachen (zwischen 1978 und 2000 ) lassen Landschaftsassoziationen zu und paraphrasieren damit und in ihrem schichtigen Farbauftrag den Raum – letztlich aber sind sie Chiffren. Spätere Arbeiten setzen verschiedenfarbige geometrische Flächen gegeneinander und weisen ebenso auf Raum und Bewegung in abstrahierenden Kürzeln hin; schließlich folgt mit den Raumobjekten aus Holz und Packstoff ein entscheidender Schritt: Es sind Objekte, die in der Tat "Raum" generieren und nicht als Chiffren aufführen, Raum der in skulpturalen Kleinarchitekturen thematisiert wird. Sowohl in der Körperhaftigkeit der reliefhaften Außenform – mit Verwendung von Architekturelementen, wie Säule, Wandvorlage, Wand, Decke – als auch in der Vielgestaltigkeit von Öffnungen und umbautem Volumen manifestieren sich diese Räume. Im nächsten Schritt, der diesen Teil der künstlerischen Linie wohl nur vorerst abschließt, verdichtet sich der Raum zur Masse, zum geschlossenen Körper. Enzweiler arbeitet die geschlossene Form von monolithischer Einfachheit aus einem massiven Granitblock aus; das Ergebnis ist das vermeintlich schlichte "Da Sein" eines Körpers, der nur wenige, aber prägende Gestaltungselemente (meist die Halbsäule) aufweist. Hier kommt Enzweiler wieder zu den Chiffren – allerdings zu Chiffren einer Vielheit – der Vielheit der Formenfülle, die der Block potentiell in sich trägt.



Karl Prantl, ohne Titel, 2005

Schwarzer Granit, 12 x 33 x 10 cm, Dauerleihgabe Monika Kellermann


Karl Prantl benennt seine Skulpturen nicht oder mit Titeln, die einen geistigen Hintergrund von weiterer Dimension umreißen. Er verweigert dem Betrachter weitgehend eine Hilfestellung zur Interpretation, nimmt ihn vielmehr in die Pflicht zur Auseinandersetzung mit dem Stein, die ebenso viel Anstrengung verlangt – auf andere Weise – wie die Arbeit des Künstlers am Stein. Wenn Prantl sein Material, den Stein, bearbeitet, so ist dieser nicht nur Material, amorphe, leblose, verfügbare Materie, sondern vielmehr ein Gegenüber, mit dem der Künstler bearbeitend in Dialog tritt. Das vollendete Werk ist keine unabhängig vom Material erdachte und darin reproduzierte Form, sondern eine in diesem bereits angelegte, als Idee vorhandene, eine materialimmanente Form. Das postuliert eine besondere Anforderung an die bildhauerischer Arbeit: Der Künstler muss mit höchster Konzentration und Sensibilität an das Behauen des Steines gehen. Denn die Form wird nicht im Sinne eines genau festgelegten "Konstruktionsplanes" herausgearbeitet, sondern muss Stück für Stück erlauscht, erspürt werden, Schritt für Schritt muss die Idee der Form erfragt werden, die der Stein in sich trägt und frei zu geben bereit ist. Die Hand muss dem Gedanken des Materials folgen, nicht den Gedanken des Bildhauers – es sei denn, Denken des Künstlers und Gedanken des Steines kommen zur Deckung. Oft sind es sehr kleine Formen, Formveränderungen, die Prantl herausarbeitet, und doch zeigt sich gerade dann die geistige Kraft des Steines in höchstem Maße.



Friedhelm Tschentscher, ohne Titel (GR1)

Granit, 35 x 23 x 28 cm, Dauerleihgabe von Monika Kellermann


Friedhelm Tschentscher – oder die Sinnlichkeit der Geometrie: Vergegenwärtigt man sich noch einmal die Arbeitsweise Karl Prantls ("Vielmehr muss Stück für Stück erspürt werden. Welche Form die Idee, die der Stein in sich trägt."), so scheint Tschentscher gänzlich anders vorzugehen und dem Stein eine außerhalb von diesem "erdachte" Form zu geben, ja sie dem Material aufzuzwingen. Doch dies ist nicht der Fall. Es ist kein "Verfahren der Reproduktion", das in einem beliebigen Material (...) die Nachahmung eines anderen Gegenstandes erzeugt. Vielmehr "(beschäftigt) sich die plastische Körperbildung mit ihren eigenen Erzeugungs- und in eins damit Erfindungsprozessen. (...) Nicht mit diesem Gegenstand soll etwas dargestellt werden, er selbst stellt etwas dar, indem er es – seine Einrichtungen und Eigenschaften – zeigt, aufweist und damit exemplifiziert." Damit ist ein Wesenszug von Tschentschers Arbeit angedeutet, der sie zu Prantls Vorgehen in Bezug setzt. Während Prantl an der Freilegung der Ideen, die im Material wesensmäßig innewohnen, arbeitet, setzt Tschentscher voraus, dass im Material kosmische Strukturen, Strukturen einer allem zugrunde liegenden Ordnung (Kosmos) werden lässt. "Friedhelm Tschentscher arbeitet nicht nach der, er arbeitet wie die Geometrie (…), insofern sie die regelmäßigen Gebilde als deren Darstellung erzeugt" (Dietfried Gerhardus: Friedhelm Tschentscher Plastiken 1982-1992. Saarbrücken 1992). Dabei handelt es sich um Sichtbarmachen von möglichen, d. h. als Grundmuster angelegten Formulierungen der Weltordnung, die der Künstler als auch seinem Material innewohnend wahrnimmt. Aber nicht nur das: Wenn man Prantls Skulpturen eine haptische Attraktion des Unbekannten attestiert, so besitzen Tschentschers Stein(-arbeiten) eine vielleicht noch stärkere und sehr sinnliche Attraktion des Bekannten, Vertrauten. Wie viel schneller, spontaner und auch unbewusster folgt der Betrachter dem Impuls, die glatten gewölbten Flächen der stereometrischen Körper Tschentschers zu berühren, und wie viel zögernde, vorsichtige Näherung evozieren Prantls Steine.



Thomas Wojciechowicz, ohne Titel

vierteilig, Holz, geflämmt, 110 x 58 x 58 cm, Dauerleihgabe der Saarländischen Landesregierung


Für Thomas Wojciechowicz steht Holz als Material bzw. Werkstoff an zentraler Stelle. Er geht scheinbar grob – und doch sehr sensibel mit seinem Material um. Dabei drängt sich sehr rasch das Attribut "archaisch" auf. Für seine Arbeiten ist wohl die Wort-bedeutung "ursprünglich" (griech.: archè, d. i. Ursprung, Ursache, Veranlassung, von Anfang an, von vornherein, zuerst, von hause aus) treffend. Er steht der Auffassung nahe, die sich in den Artefakten "primitiver" oder "Naturvölker" kundtut.Archaischer Idolcharakter und Offenlegen von Materialstrukturen fließen auch in Wojciechowicz´ Arbeiten zusammen, den im Material verborgenen geistigen Gehalt freilegend.Spürte der Künstler in früheren Arbeiten oft einem primären geistigen Inhalt nach, der Dynamik des Organischen etwa, so zeigt sich in der vierteiligen Arbeit im Ravelin I ein Weiteres. Hier betritt Wojciechowicz die nächste, die sekundäre Ebene. Im rechten Innenhof des Laboratorium stellt er vier Holzkuben in Linie auf. Je zwei öffnen sich in einem Rechteck zur Vorder- bzw. Rückseite der Linie und geben den Blick in einen rußgeschwärzten kubischen Innenraum frei. -Wojciechowicz hat dem Natur-Material eine stereometrische Form auferlegt, nicht aufgezwungen. Ganz selbstverständlich trägt und erträgt das Organische das Architektonische und zeigt damit, dass es auch Prinzipien wie Tektonik, Orthogonalität und Begriffe wie Bergen, Öffnen, Innen und Außen bildhaft machen kann. Aus der Naturform, dem ausgewählten Teil der Vegetation stemmt, meißelt und sägt Wojciechowicz in lauschender Sensibilität das Allgemeingültige, die Essenz, die sichtbar gewordene Welterfahrung heraus. Er nimmt in seinen Holzskulpturen Wachstumsformen auf, konzentriert oder erweitert mit seinen Eingriffen die vegetabilischen Gegebenheiten z. T. zu neuen Raumformen. Finden und Erfinden der Form sind für Wojciechowicz die beiden untrennbaren Seiten eines Vorganges; es ist kein Oszillieren zwischen künstlerischer und natürlicher Form – der künstlerische Eingriff macht vielmehr das in der Vielfalt der natürlichen Form angelegte Wesentliche sichtbar. Der Künstler legt die innere Form (Plotins "endon eidos") frei, die – nach Plotin – als Voraussetzung in der Seele des Schaffenden ebenfalls bereits angelegt sein muss.



Wolfgang Nestler, ohne Titel, 2006

Edelstahl getrieben, Durchmesser 68 cm,
ohne Titel, 2010

verzinktes Stahlblech, gekantet und genietet, 100 x 70 cm, Dauerleihgaben des Künstlers

 

Wolfgang Nestler arbeitet vorzugsweise mit Eisen bzw. Stahl, wohl in erster Linie wegen der Eigenschaft dieses Materials, vielfältig formbar zu sein. Durch Schmieden, Treiben, Ziehen, Biegen, Zerschneiden, Gießen oder Schweißen – mit diesen Techniken sind Art und Größe der Form nur wenige Grenzen gesetzt. Vor allem die Belastbarkeit und Stabilität des Materials erlauben Formgebungen, in denen sich eine Fülle von Bewegungsarten, -richtungen und -räumen ergeben, neben aus dem – aus der Schwere gespeisten – Ruhen, Liegen, Rasten und Lasten. Die Stille einer liegenden Platte kann neben dem singenden Emporsteigen eines filigranen Bogens stehen. Dabei strahlt jede Skulptur Klarheit und Strenge aus, konzentriert sich auf einen oder wenige Gedanken – entschieden, zweifelsfrei, aber auch poetisch und meditativ. Die Flexibilität und Vielgestaltigkeit, die das Material dem Künstler zur Verfügung gibt, ist notwendig, da die Arbeiten Nestlers (immer) einen Bezug zum Ort ihrer "Aufstellung" haben – oder anders gesagt, der Ort diktiert auch die Bedingungen für die Formung der Skulptur. Im Gegenzug definiert die Skulptur auch den Charakter des Ortes neu.  Im rechten, allseitig geschlossenen Innenhof des Ravelin I platziert Nestler zwei Schalen in Form von Kugelsegmenten aus Edelstahl. Die Öffnung einer Schale weist nach oben; die zweite Schale liegt mit der Öffnung nach unten. Öffnen und (Ver-)bergen, Spenden und Bewahren sind nur zwei Begriffspaare, die die Schalen sinnhaft transportieren – außerdem definieren und markieren sie den Ort.
Nestlers zweites Objekt ist ein vierteiliges Rechteck aus Stahlblech, in dessen Zentrum eine quadratische Fläche ausgespart ist. Die rechte der vier (Teil-)platten verlängert sich nach unten um ein Segment mit der Seitenlänge der Aussparung. Auch hier definiert das Objekt den Ort, weist auf die Möglichkeit der Öffnung, weist auf die Erweiterung der Grenzen, auf die Möglichkeit diese zu über-schreiten, dazu trägt auch die Beweglichkeit der nach unten ragenden Platte bei. Aber auch dies gilt: "eine wortlose Präsenz ohne interpretatorische Notwendigkeiten und Hilfen" (Hans van der Grinten. In: www.künstlerlexikon-saar.de).



Nina Jäger, Außen: Raum (Kafka, Blanchot, Joubert), 2010

Bleistift und Acryllack, 120 x 80 cm, Stiftung der Künstlerin


Nina Jäger setzt mit ihrer Arbeit "Außen: Raum (Kafka, Blanchot, Joubert)" im rechten Innenhof den Schlusspunkt der Präsentation auf dem Ravelin I. Es ließe sich auch sagen, dass diese Arbeit in gewisser Weise die Ausstellung "resümiert". Auf der Wand, die den Innenhof nach außen abschließt, hat Jäger ein 120 x 80 cm großes Rechteck mit Klarlack überzogen. In dessen oberer Hälfte sind die Texte: "Er sah aus dem Fenster."vund etwas abgesetzt darunter: "Im Monat Januar: Die weißen Flecken von Schnee / hie und da im aufgetauten Grün verstreut." mit Bleistift schraffiert. Sigurd Rompza begreift seine Arbeiten als Objekte für Seh-Handlungen; Nina Jägers Arbeit lässt sich analog dazu als Objekt für Wahrnehmungshandlungen ansprechen. Dem Besucher ist auf seinem Rundgang hier noch die Arbeit Eugen Gomringers im Gedächtnis; Jägers Wand-Bild scheint dem sehr nahe zu stehen. Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, dass sich Gomringer auf das beschränkt, was der Betrachter sieht – die Wahrnehmung bleibt hier auf die Elemente begrenzt, die der Künstler zur Verfügung stellt. Nina Jäger erzeugt mit wenigen Mitteln ein Wahrnehmungssystem, das über das materiell und visuell vorhandene, das Objekt selbst, hinausgeht. Die Form des Rechtecks und die erste Textzeile rufen den Begriff "Fenster" auf: Öffnung, Hinaussehen, Innen – Außen. Der Titel der Arbeit erweitert die Assoziationsketten: "Außen: Raum". Der Hof ist neben dem umbauten Raum des Laboratoriums ein Außenraum, der vom einer Mauer/Wand umschlosen ist; hinter der Wand (außen) ist: Raum. Die Wand ist eine weiße Fläche, die möglicherweise Öffnungen haben könnte, durch die etwas anderes (grün) sichtbar würde – vielleicht… Nina Jäger erweitert die Wahrnehmungs-Handlung zur Imagination, laut lexikalischer Definition "die Fähigkeit mittels visueller Vorstellung Bilder im Geiste zu entwickeln oder sich an solche zu erinnern und diese mit dem inneren geistigen Auge visuell wahrzunehmen." Der im Titel der Arbeit genannte Maurice Blanchot weist in seinem Roman "Thomas der Dunkle" auf das Bibelzitat hin: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben." Ergänzen möchte man: "Selig sind, die sehen und trotzdem glauben können". So fügt Nina Jäger dem Vokabular der Konkreten Kunst noch einmal Imagination und Poesie hinzu. Der im Titel der Arbeit ebenfalls erwähnte Franz Kafka schreibt in seinem Roman "Der Prozess": "Er ging zum Fenster und sah noch einmal auf die dunkle Straße".



Michael Jähne

 

 

Bibliografie

  • Jo Enzweiler (Hg.): Laboratorium - Institut für aktuelle Kunst im Saarland. Kunsthöfe im Ravelin I. Saarbrücken 2011

 

Redaktion: Claudia Maas


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