Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg. Foto: Claudia Maas

Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg 

Erschließungshof des Hôpital Kirchberg, Luxemburg (Foto: Claudia Maas)

Erschließungshof des Hôpital Kirchberg, Luxemburg 

Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg. Foto: Claudia Maas

 

Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg. Foto: Claudia Maas

 

Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg. Foto: Claudia Maas

 

Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg. Foto: Claudia Maas

 

Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg. Foto: Claudia Maas

 

Paul Schneider, "Stein der Öffnung", Blue Bahia, 2,60 m x 1,70 m x 1,56 m, Hôpital Kirchberg, Luxemburg. Foto: Claudia Maas

 

Luxemburg, Schneider, Steinskulptur

Letzte Änderung: 26/03/2012

Im Erschließungshof des Hôpital Kirchberg in Luxemburg steht ein blauer Monolith, der von Paul Schneider für diesen Ort ausgesucht, bearbeitet und gestaltet wurde. Wer Steine des saarländischen Bildhauers kennt, weiß, dass Stein für Schneider nicht Rohmasse zum Heraushauen von Figürlichem oder Abstraktem ist. Vielmehr spürt der Künstler dem natürlichen, individuellen Charakter des ausgewählten Steines nach. Mittels einer von Empathie geleiteten Bearbeitung sucht Paul Schneider das jeweils Besondere sichtbar oder deutlicher erkennbar und beziehungsreich werden zu lassen. Der Stein soll nach dem Willen des Künstlers zum Träger eines Gedankens werden.

 

Für den Auftrag des Hôpital Kirchberg suchte Paul Schneider nach einem ganz besonderen, ausgefallenen Material. Bei der Natursteinfirma "Magna" in Loitsche bei Magdeburg wurde er fündig. Circa 500 Blocksteine aus dem ganzen Erdkreis bildeten ein so überwältigendes Angebot, dass der Bildhauer erst nach mehreren Rundgängen auf den passenden Block stieß. Der "Stein seines Traumes" für das Kirchberger Projekt ist ein Blue Bahia, ein Foid (Tiefengestein), der in Brasilien gebrochen wird. Zur Bearbeitung wurde der tonnenschwere Block in die Oberpfalz gebracht, nach Thannhausen bei Bärnau auf das Arbeitsgrundstück von Herbert Lankl, Schneiders Freund und Mitarbeiter.

 

Während die meisten der großen Steine Schneiders in einer landschaftlichen Umgebung stehen – als Beispiel seien die Steine am Bietzer Berg bei Merzig und der "Lichtkronen-Stein" bei Wadern-Wadrill genannt – musste der Kirchberger Stein auftraggemäß in ein konkurrierendes architektonisches Umfeld gesetzt werden.

 

Der Zugang zu dem Haupteingang des Krankenhauskomplexes führt durch einen seitlich partiell geöffneten Innenhof, um den sich zwei- bis viergeschossige Baukörper gruppieren. In Höhe des ersten Obergeschosses überspannen gläserne Übergänge die offenen Seiten des Hofes; in seiner Mitte dient ein Glaspavillon als Zugang für die darunter liegenden Parkdecks. Die unterschiedlich gegliederten und aus verschiedenen Materialien bestehenden Gebäudefassaden bestimmen das Erscheinungsbild des Areals ebenso wie das kleinteilige Zubehör. Dazu zählen die Autoschranke und das Leitsystem für Blinde, Hinweisschilder und Sitzgelegenheiten, mit Bruchplatten eingefasste Blumenbeete und zahlreiche Wasserfontainen, die gruppenweise aus den hellen, rechtecki-gen Steinplatten des Hofbelages hervorsprudeln.

 

Bei der Wahl des Standortes musste die enorme statische Belastung berücksichtigt werden, die der Schneider-Stein mit seinem Gewicht von annähernd 30 Tonnen für die Tragekonstruktion der unter dem Hof liegenden Parkdecks bedeutet. Die Möglichkeiten waren entsprechend eingeschränkt, der Standort konnte aber gemeinsam mit dem Architekten zur Zufriedenheit des Künstlers ent-schieden werden. Der "Stein der Öffnung" wurde in die Nähe des zentralen Glaspavillons zwischen Beete und Sprudel gesetzt und leicht zu dem Raster der oblongen Fußbodenplatten verschoben. Die Ausrichtung nach Süden und damit einhergehend die Ausarbeitung einer "hellen" und einer "dunklen" Seite ist für einen Schneider-Stein im öffentlichen Raum beinahe obligatorisch. Ungewöhnlich hingegen ist, dass der Monolith durch vier im Boden versenkte Lichtstrahler beleuchtet werden kann.

 

Der blaue Kubus von 2,60 m Höhe bei einer Grundfläche von 1,70 m auf 1,56 m ruht auf einem niedrigen, quadratischen Sockel (0,30 m x 1,85 m x 1,85 m) aus indischem schwarzen Granit. Mit ihren stereometrisch ebenen Flächen und linearen Kanten steht diese monochrome Basis in auffallendem Gegensatz zu dem hochkant gestellten, polychromen, vorwiegend blau schimmernden Blue Bahia, dessen unregelmäßige sichtbare Oberfläche und leicht bewegten Umriss Schneider vollständig bearbeitet hat. Aus dem anorganischen, wuchtigen Steinblock wurde ein organisch anmutendes Mineral, dessen Außenhaut sich scheinbar über darunterliegende Muskeln und Gewebe legt und ihre sanfte Modulation nachzeichnet. Die vier hochrechteckigen Ansichtsflächen sind nur wenig bewegt – natürliche Erhebungen und Vertiefungen hat Schneider sorgfältig überarbeitet und verschliffen. Gleichermaßen hat er auch die Kanten des Kubus behandelt. Auf einer dergestalt modellierten und zusätzlich matt polierten Oberfläche kann sich das Spiel von Licht und Schatten in unendlichen Variationen entwickeln und die Polychromie des Minerals in den nicht zu zählenden Einsprengseln, Adern und Brüchen deutlich hervortreten.

 

Jede Seite des Monolithen ist individuell und kann für sich stehen. Ebenso einzigartig sind die Ansichten auf die Seitenkanten, von denen aus der Stein wie ein aufgeklapptes Buch mit zwei aufeinander bezogenen Seiten erscheint. Wer will, kann sich betrachtend und lesend um den Block herum leiten lassen und auf jeder der vier Flächen eine eigene Farbigkeit, ein eigenes Muster erkennen. Dominiert an einer Stelle der blaue Grundton, so sind es an anderer breite grau-grüne Adern, die sich optisch in den Vordergrund drängen. Fallen hier graue, grüne und rosa Einsprengsel auf, sind es dort dünne, helle Adern – mal vereinzelt, mal sich verzweigend, mal sich vernetzend. Bald glaubt man, einen Atlas mit Abbildungen unseres blauen Planeten vor sich zu haben, bald ein medizinisches Lehrbuch mit Aufnahmen vom Inneren des menschlichen Körpers.

 

Neben diesen Bildern, die aus der Substanz des Steines stammen, aber erst auf der von Paul Schneider bearbeiteten Oberfläche sich in ihrer ganzen Schönheit entfalten können, erkennt der Betrachter auf jeder Seite, an jeder Kante auch deutlichere künstliche Eingriffe. Mit ihnen nimmt der Bildhauer zum einen natürliche Strukturen des Steines auf, die er interpretiert und miteinander oder mit ihrer Umgebung in Verbindung setzt, und zum anderen implantiert er dem Stein einen oder mehrere Gedanken. Besonders auffallend sind bei dem blauen Monolithen die durch Bohrun-gen entstandenen, himmelwärts gerichteten Öffnungen in den vier oberen Horizontalkanten – eine Variation der "Lichtkrone", die Paul Schneider erstmals 1999 bei seinem "Lichtkronen-Stein" in Wadern-Wadrill als Verbindung des Steines mit dem darüber gespannten Himmel, dem Kosmos, geschaffen hat.

 

Mittels Bohrungen hat der Künstler auch an den vertikalen Kanten Öffnungen gesetzt, die mannigfache Beziehungen entstehen lassen. Können einige dem Betrachter als Durchblick dienen, scheinen andere sich als Öhr für fadenähnliche Adern anzubieten. Bei Aufsicht kann eine mehrfach durchbohrte Kante auch wie eine menschliche Wirbelsäule erscheinen. Subtiler angelegt sind Abfasungen an den Kanten, die an einer Stelle eine tektonische Struktur des Minerals unterstreichen, an anderer Stelle sich auf eine helle dünne Ader beziehen. Bei genauem Hinblicken und Tasten lässt sich entdecken, dass gerade diese Adern gelegentlich durch vorsichtige Gravuren und helle Füllungen etwas nachgearbeitet und verstärkt wurden. Paul Schneider nimmt hier eine natürliche Struktur als Leitfaden auf, gibt durch Bohrungen und Abfasungen dem 'Faden' Öhren und Auflager, Umspannstationen und Ruheplätze auf seinem Weg um den Stein herum.

 

Die nach Norden gekehrte Seite des Schneider-Steins ist die "dunkle" Seite. Hier führt an seiner Standfläche eine tiefe, abgefaste Bruchstelle in das dunkle, verborgene Innere des Minerals. Dieser Intention folgend, setzte der Künstler dort, wo sich auf der nördlichen Oberfläche mehrere breite graue Adern treffen, eine Öffnung, die im Gegensatz zu den lichtdurchlässigen Durchbohrungen der Kanten eine "Öffnung für die Dunkelheit" ist.

 

An der nach Süden gewandten Fläche, der "hellen" Seite des Steins kombinierte Paul Schneider zwei Motive, die er in vielen seiner Arbeiten einsetzt und variiert: Kreis und Quadrat. Das Zentrum des Kreises liegt genau in der Mitte zwischen den Vertikalkanten des Kubus, dabei aber einen Radius oberhalb der Mitte zwischen den Horizontalkanten. Der Kreis ist leicht vertieft, sein geringfügig erhabener Rand weich gearbeitet. Etwas versetzt hat der Bildhauer darüber ein Quadrat aus 18 mal 18 kleinen Quadraten geritzt. Der helle, unregelmäßige Strich der Ritzung hebt das Starre der Rasterung auf, das Quadrat wirkt wie ein textiles Gewebe, das sich sanft über den Kreis legt – vielleicht sogar eine hauchfeine Gaze, die über den Rand nach rechts oben fortzuschweben scheint. Hier wird nicht nur offensichtlich mit dem Gegensatz von dichtem Mineral und zartem Gewebe, Schwere und Leichtigkeit, Beharrlichkeit und Flüchtigkeit operiert, sondern auch bei dem Betrachter freies Assoziieren über mögliche Bedeutungen der so gestalteten beiden Motive evoziert.

 

Die beschriebenen Motive des "Steins der Öffnung" lassen sich auch an vielen anderen Skulpturen von Paul Schneider entdecken. Sie transportieren Ideen und Vorlieben des Künstlers. Schneiders Aussage zufolge sind die Öffnungen im blauen Stein der eigentliche Gedanke der Skulptur im Hôpital Kirchberg. Dabei denke er an die Menschen – Personal, Patienten, Besucher –, die sich im Krankenhaus aufhalten oder ein- und ausgehen. Wie der "Stein der Öffnung" sollten sie offen sein, geöffnet für Herausforderungen und auferlegte Prüfungen, um sie besser meistern und überwinden zu können. Auch die Anzahl der 49 Öffnungen ist bewusst gewählt. In ihr manifestiert sich Schneiders Faszination für Potenzzahlen, in diesem Falle 7 mal 7. Dass die 18 mal 18 geritzten Quadrate der selben Vorliebe entspringen, braucht nicht eigens betont zu werden. 18 hoch 2 ergibt außerdem 324, wovon die Quersumme 9 ist – eine Zahl, die wiederum der Ausgangszahl 18 zu Grunde liegt. Folgt man dem Bildhauer, so unterliegt auch den geometrischen Formen von Kreis und Quadrat eine tiefere Bedeutung: die Quadratur des Kreises, worin sich der Gedanke der Bewegung und der Unmessbarkeit, auch der Unendlichkeit verbirgt. Der Gedanke der Dunkelheit schließlich, den Schneider in die "Öffnung für die Dunkelheit" legt, steht für das Bergende und das Geheimnis.

 

Mit seinen großen Steinen stellt sich Paul Schneider in die Reihe der Monolithe aus mythologischen Zeiten – Stonehenge in Südengland, die Menhire in der Bretagne oder auch die näher gelegenen Solitäre in Rentrisch und Blieskastel. Steine, die nicht figürlich gestaltet wurden, sondern in ihrer natürlichen Monumentalität dem Menschen als Mittel zur Zwiesprache mit der Natur, dem Göttlichen, dem Unfassbaren dienen konnten. Steine, die – wie heute noch das Bruchstück des al-Hadschar al-Aswad ("der Schwarze Stein") in der Kaaba in Mekka – besonders wertgeschätzt wurden und Quelle der Kraft waren. Dem von Paul Schneider gewählten und bearbeiteten Stein wurde mit dem Eingangshof des Hôpital Kirchberg ein neuer, sinnvoller Ort gegeben. Dort erfreut der brasilianische Blue Bahia mit seinen Farben und Formen gleichermaßen Kranke und Gesunde, bietet er sich Sehenden und Blinden an, ihn umrundend zu erkunden, zu ertasten, seine kühle Dunkelheit und warme Helligkeit zu spüren, steht er inmitten einer künstlichen Umwelt bereit zur Zwiesprache mit der Natur – ein blauer Monolith, ein Kraftspender.

 

 

Bibliografie

  • Claudia Maas et/und Oranna Dimmig: Paul Schneider - "La pierre de l'ouverture" / Paul Schneider - Der "Stein der Öffnung". In: Fondation François-Elisabeth (Ed./Hg.): Hôpital Kirchberg. Volume III - Architecture et art / Band III - Architektur und Kunst. Luxembourg 2007, S. 124-135
  • Claudia Maas und Oranna Dimmig: Paul Schneider - Der "Stein der Öffnung". In: Mitteilungen 13/14, 2005/2006, S. 28-29 >>>

 

 

Oranna Dimmig und Claudia Maas


COPYRIGHT ©

Institut für aktuelle Kunst im
Saarland an der Hochschule
der Bildenden Künste Saar

Choisyring 10
66740 Saarlouis
49 (0) 6831 - 460 530

Facebook

Besuchen Sie uns auf facebook

Ihre Partner für Typo3 - Saar - Saarland - Saarbrücken

Dieses Projekt wird gefördert durch ZMP Solutions Gmbh - Saarbrücken.